Es wurde langsam zur Gewohnheit, daß Jade und Caleb sich alle zwei Wochen trafen, doch diesmal sollte der Abstand länger dauern, was sie sehr bedauerte. Sie saß am Samstag Morgen im Bus nach Oasis Springs und textete mit Caleb hin und her. Sie teilte ihm mit, daß sie vermutlich den ganzen Tag weg sein würde, was beide bedauerten, da er am Sonntag keine Zeit hatte etwas gemeinsames zu unternehmen. Somit würden sie sich vermutlich erst am nächsten Wochenende wieder sehen können. Um die Stimmung aufzuheitern schickte sie ihm eine Nachricht, daß sie erneut befördert worden war. Sie war nun Direktionsassistentin, und er hatte Recht behalten. Ihre Arbeitszeiten waren wirklich noch die gleichen wie zuvor, aber diesmal war ihre Lohnerhöhung beträchtlich gewesen. Sie verdiente nun mehr als doppelt so viel wie anfangs in der Poststelle, und das nach nur knapp drei Monaten im Betrieb.
Mit einem leisen Seufzer lehnte sie sich im Sitz zurück und sah aus dem Fenster. Inzwischen konnte sie ihre Rechnungen wirklich gut begleichen und es blieb noch das ein oder andere übrig, um mal ausgefallen zu kochen oder sich etwas neues für den Haushalt zu kaufen, besonders da sie auch weiterhin Fundsachen und Blumen verkaufte. Nur glücklich war sie trotzdem nicht. Inzwischen mußte sie abends stundenlang duschen, um die Anspannung loszuwerden, und es graute ihr bereits vor ihren neuen Aufgaben am Montag. War Arbeiten wirklich immer so furchtbar nervtötend?
Fast sofort kam eine Antwort mit Glückwünschen. "Echt mal, wie schafft er es bloß nicht auszurasten bei dem Job?" fragte sie sich kopfschüttelnd und wünschte ihm ein schönes Wochenende.

Sie stieg ein Stück vor der Innenstadt aus, da sie nicht glaubte, daß Beryl über einem Laden wohnte. Außerdem war es ihr dort auch zu belebt. Sie wollte lieber die eigentliche Gegend erkunden, etwas von der Natur und dem Klima sehen, statt Leuten dabei zuzusehen, wie sie durch die Stadt hetzten.
Aufmerksam ging Jade eine lange Straße hinunter und las die Briefkastenschilder der Wohnhäuser links und rechts von ihr, wobei sie mit ihrer Zickzackroute, die sie ständig über die mäßig befahrene Straße führte, erstaunlich wenig Aufmerksamkeit erregte. Niemand fragte sie, wen sie suchte, und sie mochte sich nicht bei all den Fremden durchfragen. Sie hatte keine Ahnung, wo Beryl wohnte und ob sie überhaupt zu Hause war. Einfach herumzulaufen war die beste Chance, die sie hatte, und sollten sie sich nicht treffen hätte sie wenigstens etwas von der Landschaft gesehen.
"Hat diese Straße überhaupt mal ein Ende?" fragte sie sich nach der fünften sanften Biegung. Sie war an einer Industrieanlage vorbei gekommen und an mehreren Gebäuden, deren Zweck sie nicht bestimmen konnte, die aber nicht nach Wohnhäusern aussahen. Überall wurde die Straße gesäumt von rotem Sand und Erde, durchbrochen von einigen kleinen Bächen und einem Fluß, der teilweise sehr wild um die Felsen rauschte, um dann wiederum in den Senken sanft dahinzufließen. Viele Hügel und Abhänge aus blankem Gestein türmten sich zu beiden Seiten der Straße auf, was es oft schwer machte um die nächste Biegung zu schauen.

Als sie die nächste in der langen Reihe von Biegungen nahm kam eine weitere Ansammlung von Wohnhäusern in Sicht, und die Bürgersteige waren nun belebter. Ein alter Mann kam Jade entgegen und schlurfte an ihr vorbei. "Hab ich den nicht schon mehrmals in meiner Straße gesehen? Der wohnt doch in Willow Creek." Sie sah ihm nach, ging noch ein wenig weiter und schaute sich um. Die Gegend war abenteuerlich und auch irgendwie malerisch wild, aber wo sollte sie hier bloß diese Beryl finden?

"Hey, Jade! Warte!" rief prompt jemand hinter ihr. Sie wandte sich um und sah die Gesuchte aus einem freistehenden Haus auf der anderen Straßenseite gelaufen kommen. "Zufälle gibt's..." murmelte sie überrascht.
Beryl prüfte kurz den Verkehr und kam gleichzeitig mit einer Gruppe Passanten bei ihr an. "Na, was für eine Überraschung, du bist ja wirklich gekommen! Herzlich willkommen in Oasis Springs, Jade!"
"Beryl! Was für ein Glück, daß du mich gesehen hast! Ich wäre hier noch stundenlang umhergeirrt!" lachte Jade, um über ihre Unsicherheit hinwegzutäuschen, die all die auf sie zukommenden Leute in ihr auslösten. Die andere breitete grinsend die Arme aus. "Ich wollte nur kurz meine Pflanzen gießen und dachte mir, die Mütze kennst du doch! Ich freue mich, dich wiederzusehen!"

"Ja, Oasis Springs ist immer einen Besuch wert!" mischte sich eine Fremde in zerrissenen Jeans und buntem Hemd ein. Irritiert schauten beide Frauen sie an, sagten aber nichts. Jade lächelte verlegen, Beryl hüstelte nur. Die Frau schien den Hinweis zu verstehen, streckte sich auffällig lange und schlenderte dann genau zwei Schritte weiter.

Die Schwarzhaarige starrte ihr kurz nach, bemerkte dann die Postbotin, die ein kleines Stück hinter Beryl mit einem Kind sprach, und wandte sich schnell wieder der anderen zu, ehe sie erneut gestört werden konnten. "Was ich von der Gegend sehen konnte ist sehr reizvoll. Irgendwie wie in einem Abenteuerroman, der im Wilden Westen spielt oder sowas. Obwohl es mich auch nicht wundern würde, wenn plötzlich ein Drache über den Berg käme und seinen langen Hals zu uns herunterreckte."

Ehe ihr Gegenüber etwas antworten konnte wurde Jade von einer Frau angerempelt, die hinter ihr den Gehweg langgestapft war, ohne auf den Weg zu achten. "He! Was soll denn das?!" machte Jade erschrocken, und die Rothaarige deutete mit zwei Fingern erst auf die eigenen Augen und dann auf die Passantin, ehe sie zu der Fremden mit dem asiatischen Kleid und der Hochsteckfrisur meinte: "Augen auf! Gucken soll helfen, Unfälle zu vermeiden!"
"Paßt doch selber auf!" knurrte die Frau empört. "Steht hier mitten in der Gegend rum!"


"Sag mal, ist es hier bei euch die Norm, daß man sich so auf der Straße verhält?" fragte Jade ihre Bekannte und konnte ihren Streß nicht mehr verstecken. Die waren doch nicht normal hier!
"Ignorier sie einfach. Es muß wohl an der Hitze liegen, daß hier ab und an jemand einen Sonnenstich bekommt. Vor allem Touristen, die hier gar nicht wohnen und meinen sich danebenbenehmen zu können." Beryl erhob beim letzten Satz ihre Stimme, musterte die Frau abschätzig und strahlte dabei eine Selbstsicherheit aus, die auf andere einschüchternd wirken mußte.
Die Fremde schwieg auch tatsächlich, warf ihnen aber böse Blicke zu und blieb ebenfalls zwei Schritte weiter stehen, um aus heiterem Himmel ein Gespräch mit der zerrissenen Jeans anzufangen.

Die beiden jungen Frauen ignorierten die Störenfriede und unterhielten sich weiter. Beryl fragte: "Wo waren wir?"
"Nichts wichtiges, ich habe nur von Drachen gesponnen."
"Ha ha, stimmt! Du bist recht verspielt, kann das sein?" meinte die Rothaarige und lachte.
"Erwischt!" Jade stimmte in das Lachen ein und kratzte sich am Kopf. Dann flüsterte sie: "Und du hast ein bewundernswertes Selbstwertgefühl! Wie du die in ihre Schranken verwiesen hast, wow!"
"Ha ha ha! Ja, ich lasse mir nur wenig gefallen. Bis vor kurzem hab ich als Kritiker gearbeitet, da kann man es sich nicht erlauben klein beizugeben."
"Oh, das kann ich mir vorstellen! Und was machst du jetzt?"
"Momentan bin ich im Bistrobetrieb, aber ich glaube, das werde ich nicht mehr lange machen. Und du?"
"Ich bin bei Rissen und Lever im Büro angestellt."
"Warte mal, ist das nicht die Firma, in der auch Caleb arbeitet?" hakte Beryl nach, was ihr Gegenüber mit einem Nicken beantwortete. "Du bist ja eine ganz Gerissene! So habt ihr euch also kennengelernt?"
"Iwo, nein! Das war reiner Zufall! Auf der Arbeit bin ich ihm auch noch nie begegnet, ich bin in einer kleinen Filiale." Jades Gesicht glühte, allein die Vorstellung war ihr total peinlich.
"So so. Und was macht ihr so, wenn er vorbeikommt?"
"Normale Sachen halt. Reden, Bücher besprechen, Filme schauen... Er ist mein Testhörer fürs Gitarre spielen! Wieso fragst du?"
"Warte noch mal - du spielst Gitarre?"
"Ja, ich liebe Musik."
"Ich auch! Mein Instrument ist die Geige!"
"Wirklich? Geigenmusik ist so elegant! Du mußt mir unbedingt einmal etwas vorspielen, wenn du Zeit hast!"
"Klar, gerne! Vielleicht könnten wir auch mal zusammen spielen!"
"Ja!" Jade lebte richtig auf bei dem Thema, und als Beryl ihr mit einem lauten "Abgemacht!" in die Arme fiel zu einer freundlichen Umarmung erwiderte sie die Geste ohne nachzudenken.
In diesem emotionalen Moment drängte sich nicht nur die Postbotin eng an Jade vorbei, obwohl es massenhaft Platz auf dem Gehsteig gab, auch die asiatische Frisur stand ihr plötzlich wieder fast in den Hacken, zwei Kinder liefen in Beryl hinein und die zerrissene Jeans kam lachend hinterher.

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