"Kommen wir zunächst zu Ihnen, Fräulein Sinistra." Der Hengst blickte sie an und war plötzlich ganz geschäftsmäßig, auch wenn er seinen väterlichen Tonfall beibehielt. "Wenn Sie hier wohnen ist der Garten gut versorgt, und mit Ihrer ruhigen Art und der Disziplin, die Sie zweifellos in Ihrer magischen Ausbildung verinnerlicht haben, werden Sie den Haushalt sicher gut führen. Ich muß mir keine Sorgen darum machen, ob das Haus in gutem Zustand gehalten wird oder die Nachbarn sich beschweren werden."
Sinistras Herz klopfte ihr bis zum Hals und es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, daß ihr nur freundliche Dinge aufgezählt worden waren. Wo war dann der Haken?
Wie erwartet setzte Herr Indi seine Rede fort. "Allerdings kann Ihr Verhalten nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie gerade erst in Dolltopia angekommen sind. Sie haben keine Ahnung, wie man eine Waschmaschine bedient oder wie Sie den Fernseher anschließen müssen. Sie brauchen jemanden, der Sie an die Hand nimmt und Ihnen diese Welt erklärt. Ansonsten werden Sie eines Tages wohl das Haus niederbrennen mit einem Gerät, mit dessen Benutzung Sie sich nicht auskennen."
"Ja, aber..." fing die Elementaristin an, wurde aber von dem Hengst ignoriert, der sich nun stattdessen Eternia zuwandte.
"Und Sie, Eternia... Sie kennen sich bestens in der Stadt aus und werden mit Ihrer offenen Art schnell Kontakt zu den Nachbarn knüpfen. Gute Beziehungen sind immer hilfreich. Auch Ihrer Mitbewohnerin werden Sie viel beibringen können."
Eternia hob protestierend die Arme, doch er ignorierte das und fuhr fort: "Wenn ich Ihre Blicke während der Führung richtig gedeutet habe, dann haben Sie auch bereits konkrete Pläne zur Neugestaltung des Hauses, und ich zweifle nicht daran, daß Sie auch die Energie zur Durchführung dieser Pläne haben."
"Wo ist dann das Problem?! Warum soll ich mir das Haus mit dieser Fremden teilen?!"
"Seien wir ehrlich, Sie sind jung und flirten gern. Das bedeutet, Sie werden vermutlich nicht sehr oft daheim sein, um sich um das Haus zu kümmern, und sobald Sie einen festen Freund haben werden Sie sehr bald wieder ausziehen."
"Wieso sollte ich das tun?" Eternia war perplex wegen der Schlußfolgerungen des Hengstes. Vor allem, weil er recht hatte.
Indi lächelte sie amüsiert über den Rand seiner Brille hinweg an. "Erinnern Sie sich nicht an den Wortlaut der Zeitungsannonce? Es hat einen Grund, daß ich weibliche Mieter oder Zwerge bei meiner Entscheidung bevorzuge, auch wenn Sie dahinter wohl andere Gründe vermutet haben. Die Deckenhöhen hier sind für die meisten menschlichen Männer sehr unangenehm. Falls es Ihnen nicht aufgefallen ist, selbst Sie beide stoßen hier in der Küche fast mit dem Kopf an die Decke."
Beide Frauen schauten instinktiv nach oben, und der Vermieter fuhr fort: "Ihr Freund würde niemals hier einziehen wollen, und Sie würden nicht lange hier wohnen wollen, wenn ihm bereits das Frühstück mit Ihnen unangenehm sein muß."
Eternia schwieg.
"Das eigentliche Stichwort jedoch ist Geld!" Das Gesicht des Vermieters wurde mit einem Schlag todernst und er begann auf und ab zu gehen. "Sie können mir beide nichts vormachen. Daß keine von Ihnen mir auf die Frage nach Ihrer Arbeitsstelle Belege für ihr Einkommen gezeigt hat, sagt mir bereits alles. Sie, Fräulein Sinistra, sind 'freischaffend', weil Sie noch nicht lange genug in der Stadt sind, um eine feste Stelle zu haben. Offenbar kommen Sie aus guten Verhältnissen, daher gehe ich davon aus, daß Sie ein wenig Erspartes mitgebracht haben und hoffen, davon die ersten Mieten zahlen zu können, bis Sie Arbeit gefunden haben."
"Woooow! Ist das wahr, Sinistra?!" Eternia lachte und sah ihr Gegenüber amüsiert an.
"Ja, das stimmt", gab die Elementaristin nach einer kurzen Pause zu. Sie rutschte unangenehm berührt auf der Bank herum. "Aber ich bin fleißig und arbeite hart! Sicher werde ich schnell Arbeit finden!"
"Ha, ha, ha, damit bist du ja wohl draußen!"
Das Lachen der Blondine wurde unbeeindruckt vom Vermieter unterbrochen.
"Und Sie, Eternia, haben ebenfalls keinen festen Job. Wenn Sie jemals in einer namhaften Publikation abgedruckt gewesen wären, dann hätten Sie mir überschwenglich von Ihrem Portfolio erzählt. Vermutlich waren Ihre bisherigen Fototermine nur kleine Gelegenheitsjobs. Vielleicht laufen Sie tatsächlich für eine oder zwei Brautboutiquen, aber das wird nicht gut genug bezahlt."
Eternias Lachen blieb ihr im Hals stecken und sie wurde so rot, daß Sinistra sich ein "Ui." nicht verkneifen konnte.
Indi drehte sich wieder um und sah beiden Frauen nacheinander in die Augen. "Sie wollen beide ohne Mitbewohner oder Familie hier einziehen, also gibt es auch keine weiteren Personen mit festem Gehalt. Glauben Sie bitte nicht, daß ich ein Herz aus Stein hätte. Sie sind jung, suchen nach einer Chance, und sie sind die ersten, die sich um das Haus beworben haben. Ich finde Sie auch beide sympathisch und bin selbst in einer Position im Leben, in der ich nur daran interessiert bin, daß dieses Haus seine Kosten deckt und gepflegt wird. Aber halten Sie mich deswegen bitte nicht für leichtsinnig."
"Das würde ich doch niemals..." fing Sinistra an, wurde dann aber still, als Herr Indi sie streng ansah.
Der Hengst sprach weiter. "Wenn Sie beide den Mietvertrag unterschreiben verdoppelt sich meine Chance, die Miete pünktlich zu bekommen. Selbst wenn Sie beide sich erst einmal mit Gelegenheitsarbeit über Wasser halten, sollten Sie gemeinsam in der Lage sein, das Geld aufzutreiben."
Er sah beide noch einmal scharf an. "Von daher bleibt meine Position bestehen: Ich vermiete Ihnen das Haus als Wohngemeinschaft oder ich suche nach einem anderen Mieter. Besprechen Sie sich bitte und denken Sie darüber nach."
"Puh", machte Eternia. In ihrem Kopf drehte sich plötzlich alles. "Wie hoch soll die Miete denn überhaupt sein?"
"840 Topi-Yen, und das ist inklusive aller Nebenkosten."
"Mann, das ist wirklich günstig..." Die Blondine atmete laut aus. Es fiel ihr sehr schwer, es zuzugeben. "Aber wirklich mehr, als ich mir im Moment alleine leisten kann. Da kommt noch Telefon dazu, Internet, Essen, Ausgehen und Shoppen..."
Sinistra erhob sich und spielte überlegend mit ihrem Rock. Stehend konnte sie besser denken. "Mit meinem Ersparten käme ich da auch nur einige Monate hin. Dabei kostet dieses ganze Haus kaum mehr als eine winzige Wohnung." Sie seufzte ebenfalls.
Herr Indi tat so, als sei er gar nicht da, und ließ die beiden reden.
"Man spart bei den Lebensmitteln, wenn man für zwei kocht..." meinte die Blondine nachdenklich. "Aber eigentlich..."
"Was?"
"Ach, nichts." Eternia wollte ihrem Gegenüber nicht auch noch bestätigen, daß sie eigentlich nur hier wohnen wollte, bis sie einen festen Freund gefunden hätte. Es war ja nicht ihr Problem, ob die andere dann über die Runden käme.
Sinistra sah sie abwartend an. Als ihr klar wurde, daß Eternia nichts weiter sagen würde, meinte sie vorsichtig: "Es sind ja zwei Zimmer vorhanden. Wir könnten jede unser eigenes Reich haben..."
"Ja... Es ist ja nicht so, als wenn wir allerbeste Freunde werden müßten, oder?"
"Wenn wir einen Plan aufstellen und uns miteinander abstimmen... Früher in der Akademie hatte ich auch eine Mitbewohnerin, das war kein Problem."
Eternia beäugte die junge Frau mißtrauisch. "Beim Dekor bin ich mir allerdings nicht so sicher, ob wir uns verstehen. Ich mag weder düstere noch so altmodische Sachen wie du."
"Solange ich mein eigenes Zimmer so einrichten darf wie ich es möchte und du mir etwas Platz läßt für meine Sachen bin ich da sehr kompromissbereit."
"Versprochen?"
"Mir gefallen sogar ganz viele Sachen, die ich hier in Dolltopia in den Schaufenstern gesehen habe! Aber du mußt ebenso Kompromisse eingehen!"
"Klar. Und jede darf ihre Freunde einladen und das Wohnzimmer in Beschlag nehmen, wenn sie es vorher mit der anderen abspricht."
"Sicher, wieso nicht... Aber ich möchte im Garten meine Beete anlegen."
"Wenn du etwas Platz läßt für meine Sonnenliege ist mir das recht."
"Gut. Aber wenn ich mich um den Garten kümmere mußt du mir im Gegenzug meine Fragen zum Stadtleben hier beantworten."
"Gut. Dann probieren wir's?" vergewisserte sich Eternia.
"Ich wäre dafür." Sinistra nickte.
"Na schön, Herr Indi, Sie haben gewonnen. Wir mieten das Haus gemeinsam." Die Blondine knirschte dennoch ein wenig mit den Zähnen, als sie aufstand und es verkündete.
Im Bruchteil einer Sekunde hörte der Hengst auf taub zu spielen und war wieder sein fröhliches, väterliches Selbst. "Nein, Sie beide haben gewonnen, denn Sie mieten hier ein unglaublich schönes Haus zu einem atemberaubenden Preis!" Er lächelte breit.
Eternia verkniff sich eine bissige Antwort und atmete einmal tief durch. "Na schön. Aber was ist, wenn es nicht klappt? Sie haben uns ja nun ganz schön überfallen mit Ihrer Forderung."
"Hm, das verstehe ich. Machen wir es so: Der Mietvertrag läuft erstmal nur drei Monate. Sollte es zwischen Ihnen beiden nicht funktionieren können Sie in dieser Zeit problemlos ausziehen und sich etwas anderes suchen. Sofern aber alles gut geht verlängert der Vertrag sich auf unbegrenzte Zeit. Ist das in Ordnung?"
"Einverstanden." Eternia nickte und auch Sinistra war erleichtert. "Das klingt fair."
"Schön. Sollte sich irgendwann etwas ändern, zum Beispiel, daß eine von Ihnen ausziehen möchte oder eine dritte Person hinzukommt, dann werden wir das einfach ausdiskutieren und sicher ebenfalls eine unbürokratische Lösung finden."
"Apropos eine dritte Person - sind denn Haustiere theoretisch hier erlaubt?" fragte Sinistra zaghaft, was ihr einen düsteren Blick von Eternia einbrachte. Sie schrak zusammen, wurde rot und fügte schnell hinzu: "Nicht, daß ich plane, mir eines zuzulegen! Ein ganz kleines... das nicht viel Dreck macht... vielleicht... irgendwann...? Es tut mir leid, von ernsthaften Zauberern erwartet man einfach, daß sie irgendwann einen Vertrauten haben..." Eternias Blick wurde nicht besser. Sinistra schwitzte. "Oder es kann doch sein, daß man mal ein Tier für einen Freund hüten muß!"
Der Vermieter lachte. "Also, zum einen liegt gleich hinter dem Haus der Stadtpark, Sie sollten sich also nicht darüber wundern, wenn Sie gelegentlich ungebetenen Besuch im Garten haben. Vielleicht wäre ein kleiner Hund oder eine Katze sogar ganz angebracht, wenn Sie auch vorhaben sollten Gemüse anzubauen, vor allem Karotten." Er zwinkerte Eternia zu. "Ich bin mir sicher, auf dem Hundeplatz im Park gibt es sogar das eine oder andere attraktive Herrchen."
Er trabte zur Tür. "Im übrigen bin ich ein Pony, wie Sie wohl gemerkt haben. Glauben Sie ernsthaft, ich würde Tiere im Haus verbieten?"
"Darüber reden wir noch", zischte Eternia ihrer neuen Mitbewohnerin zu, als der Vermieter im Flur verschwand.
Dolltopia 0004 <- # -> Dolltopia 0006
Kommentare
...allerdings scheint Eternia keine Tiere zu mögen... :?
Für diejenigen, die nicht dem Forum folgen: Von hier an modifiziere ich gelegentlich die Gesichter der Puppen digital, um an ihrer Mimik zu drehen.
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