Da sie das Thema 'Liebelei' weiterhin beschäftigte sah sie sich am nächsten Tag im Büro ihre Kollegen an, doch keiner mochte ihr gefallen. Die meisten waren eh Frauen, Snobs, verheiratet oder alles auf einmal. Es war wohl an der Zeit für einige Nachforschungen. In der Mittagspause machte sie sich über das Nachtleben in Oasis Springs schlau und schaffte es dabei sogar ihre Chefin zu beeindrucken, indem sie es so aussehen ließ, als führe sie in ihrer Freizeit zusätzliche Recherchen durch. Es gab eine leicht verrucht aussehende Bar und auch eine Lounge in der gleichen Straße, die einen recht schicken Eindruck machte. Beryl kam zu dem Schluß beide Orte ausprobieren zu wollen. Hatte sie beim Umzug eigentlich ihre Partykleider eingepackt?
Am nächsten Tag nach der Arbeit traf sie gegenüber von ihrem Haus erneut auf Liberty Lee.
"Liberty? Warst du schon wieder im Fitneßstudio?"
"Nee, ich hab auf dich gewartet, Beryl!" verkündete die junge Frau stolz. "Ich hab eine Story, die wird dich umhauen!"
"Ach ja? Etwas, das ich für den Job verwenden kann?"
"Äh... keine Ahnung! Vielleicht? Aber es ist pikant!"
"Okay, na dann erst recht raus damit! Ich bin gespannt!" forderte Beryl sie auf.
Liberty senkte die Stimme und erzählte: "Also, gestern Nacht auf der Arbeit, da haben die Überwachungskameras überm Observatorium etwas aufgenommen!"
"Und das war? Doch nicht etwa ein UFO?"
"Quatsch! Zwei Fledermäuse, die es, du weißt schon, getrieben haben! In der Luft!"
"Eh?" Beryl verzog angewidert das Gesicht. "Sag mal, wie langweilig ist denn dein Job, daß du Tiere beim Koitus für eine pikante Story zum Weitererzählen hältst?!"
"Verstehst du nicht?!" rief Liberty und sprach sprunghaft wieder ganz leise weiter. "Das waren garantiert keine echten Fledermäuse, die gibt es hier nämlich gar nicht! Das waren Vampire! Vampire beim Sex zu filmen ist doch pikant, oder?"
"Vamp... Willst du mich jetzt völlig verarschen, Liberty?"
Die Angesprochene schaute verdutzt drein. "Wie jetzt?! Weißt du noch gar nicht, daß es in der ganzen Stadt Vampire gibt? Das Internet ist voll davon! Fast jede Nacht wird jemand angefallen und gebissen!"
"Also, das... Du nimmst mich auf den Arm!"
"Nee, echt nicht! Guck doch selber nach!"
"Werde ich machen, wenn ich nichts besseres zu tun habe."
"Okay! Laß mich wissen, falls du dann das Video sehen willst. Hab es auf dem Handy."
"Laß mal, Liberty. Das brauche ich echt nicht."
"Na schön, dann zeig ich es in der Kantine rum. Wollte es dir zuerst zeigen, weil wir so gute Freunde sind und so."
"Danke, das ist lieb von dir." Trotz der haarsträubenden Geschichte mußte Beryl grinsen, weil Liberty nach so kurzer Zeit schon dermaßen an ihr hing. Sie mochte sie auch sehr, auch wenn sie manchmal totalen Quatsch erzählen konnte - so wie gerade eben.
Sie verabschiedeten sich, und Beryl ging heim, wo sie erstmal Werbeflyer entsorgen mußte, die ihr ein Teenager unter der Tür durchgeschoben hatte, den sie noch hatte davonschlendern sehen. Anschließend war sie zunächst mit ihrem Abendessen beschäftigt und wurde schließlich von einer Komödie im Fernsehen abgelenkt, die sie schon immer mal hatte sehen wollen. Es war schon nach zehn, als sie sich in ihr Bett kuschelte und die verrückte Geschichte von Liberty schon wieder völlig verdrängt hatte.
Hätte sie geahnt, was in der Nacht auf sie wartete, wäre sie gar nicht erst schlafen gegangen.
Es war bereits kurz vor Mitternacht und Beryl lag in tiefem Schlummer, als eine graue Gestalt auf ihr Haus zu schlich. Auf einen Wink ihrer knochigen Hand schwang die große Doppeltür lautlos und ohne den geringsten Widerstand auf. Graf Vladislaus Straud IV, denn um keinen anderen handelte es sich, stolzierte triumphierend in das dunkel vor ihm liegende Haus und fand ohne Schwierigkeiten das Schlafzimmer, in dem das Menschlein ruhte.
Der Vampir betrachtete die schlafende Rothaarige und leckte sich die blutleeren Lippen. Es brauchte nur ein paar kleine Gesten und einige gemurmelte Worte, und seine Gedankenkontrolle wirkte unentrinnbar. "An dir ist viel dran, Mädchen. Was für ein Festmahl! Komm, steh auf! Komm zu mir!"
Beryl gehorchte. Völlig unter dem Bann des Blutsaugers stehend schlug sie ihre Bettdecke zurück, erhob sich und ging wie eine Puppe auf den Vampir zu.
"Braves Mädchen! Und so ein schöner Hals! Komm her!" Straud packte die wehrlose Frau, riß sie an sich und schlug ihr ohne zu zögern die Zähne in den Hals. Sie stöhnte auf, halb bei Bewußtsein, doch unfähig sich zu wehren, während er ihr Blut in gierigen Schlucken trank. Wie durch einen dichten Schleier erlebte sie den Angriff mit, spürte wieder und wieder, wie sich Fänge in ihren Hals bohrten, an ihr rissen und raue Lippen schmatzend an ihrem Hals saugten.
Als der Vampir endlich satt war ließ er sie einfach los und wischte sich den Mund. Beryl sackte kraftlos in sich zusammen und stürzte zu Boden.
"Keine Angst, Mädchen. Ich werde dich nicht verwandeln. Dafür warst du viel zu schmackhaft! Doch wir sehen uns bald wieder!" Er lachte manisch und löste sich in eine Rauchwolke auf, aus der eine Fledermaus emporstieß und aus dem Haus jagte.
Die Türen schlossen sich, und alles war still.
"Aaaaauuuuu!" machte Beryl gequält, als sie spät am Morgen aufwachte. Ihr Kopf pochte wie verrückt. Wieso lag sie auf dem Teppich, noch dazu in dieser verrenkten Haltung? Alles tat ihr weh, doch besonders ihr Genick brannte wie Feuer. Ihr wurde sofort schwindelig, als sie versuchte aufzustehen. Mühsam angelte sie nach ihrem Handy, um sich auf der Arbeit abzumelden. Irgendwas stimmte nicht mit ihr, sie brauchte einen Arzt oder sowas.
Beim zweiten Versuch schaffte sie es, sich stöhnend in die Höhe zu stemmen. Sie taumelte ins Bad und sah in den Spiegel. Sie war bleich, ihre Augen dunkel unterlaufen. Und an ihrem Hals... War das Blut?!
Sie keuchte auf, griff nach einem Waschlappen und wusch sich vorsichtig Hals und Nacken. Tatsache! Deutlich zeichneten sich zwei Löcher auf ihrer Haut ab. Etwas hatte sie gebissen! "Potzblitz! Ein Vampir!" schoß es ihr durch den Kopf. Entsetzt taumelte sie zurück. Das gab es doch nicht!
Nachdem sie etwas gegessen und sich im Bett ausgeruht hatte ging es ihr ein wenig besser, doch die höllischen Schmerzen im Nacken blieben. Beryl nutzte den Bonus ihrer letzten Beförderung und bestellte per Eillieferung einen Computer samt Schreibtisch, an dem sie den Rest des Tages mit Recherche über Vampire verbrachte. Dabei fand sie heraus, daß Gebissene sich für gewöhnlich nicht nach nur einem Biß selbst in einen Vampir verwandelten, es sei denn, es stellten sich in den ersten Stunden nach der Verletzung bereits ernste Verdauungsprobleme ein. Das beruhigte sie, denn bis auf die Schwäche und den pochenden Schmerz ging es ihr gut. Während sie sich von Website zu Website hangelte, manche seriöser, andere voll reißerischer Geschichten oder dunkler Poesie von Teenagern, stieß sie auf ein geheimes Buch über Vampire, die Encyclopedia Vampyrica. Kurzentschlossen bestellte sie sich ein Exemplar von einer ominösen Website.
"Das wollen wir ja wohl mal sehen, ob du mich noch mal beißt, Kerl!" knurrte sie wütend. Sie schickte Liberty eine SMS mit der Mitteilung, daß sie nun auch an Vampire glaubte. Noch einen ihrer kostbaren Urlaubstage würde sie nicht freiwillig an so eine Kreatur verschwenden!
Am nächsten Tag ging es ihrem Hals endlich besser, und als sie von der Arbeit kam steckte auch tatsächlich ihre Buchbestellung im Briefkasten. Die Rothaarige briet sich eine Portion Tofu Tacos in der Pfanne und machte sich sodann gleich an die Lektüre.
Die nächsten Tage vergingen wie im Fluge. Beryl wurde zur Kochtopf-Spionin befördert und trieb sich von nun an in diversen Restaurants herum, um die Speisen der besten Köche der Stadt zu bewerten. Doch das hielt sie nicht vom Lesen des Vampir Buchs und weitere Forschungen im Internet ab.
Schließlich nahm Liberty Lee sie mit auf einen Flohmarkt in San Myshuno, wo sie zusammen viel Spaß damit hatten ein Street Art zu sprühen und für Beryl ein paar Kerzen für die Kommode in ihrem Schlafzimmer auszusuchen. Sie trafen sich mehrmals oder sprachen lange am Telefon, erst nur über Vampire, dann wieder über alles mögliche. Doch auch das ließ sie nicht ihr Ziel aus den Augen verlieren. Vergessen waren die Bar und die Lounge, sie hatte gerade keine Zeit für eine Männerbekanntschaft.
Das Buch lehrte sie, daß der einzige Weg Vampire abzuwehren ein Kranz oder Zopf aus Knoblauch sei. Da die Frau davon nicht genug auftreiben konnte bestellte sie sich Setzlinge und pflanzte ihn selber an. Im Blumenkübel auf dem Treppenabsatz wuchsen die Pflanzen erstaunlicherweise trotz des Klimas wie verrückt, solange sie nur nicht das Gießen vergaß. Wenige Tage später hatte sie genug geerntet für einen Kranz. Sie folgte der Anleitung, um ihn zu knüpfen, und hängte ihn triumphierend neben ihrer Eingangstür an die Hauswand.
"Nimm das, du verdammter Blutsauger!" schimpfte sie laut und lachte keckernd.
Kommentare
...ich hoffe, der Knoblauchring hilft...
Alle Kommentare dieses Beitrages als RSS-Feed.