Aufgeregt sah er ihr ins Gesicht und wagte kaum zu atmen. Endlich hatte sie es von sich aus zugegeben! "Ist das ein Problem für dich?"
Die Mundwinkel seiner Begleiterin verzogen sich zu einem schiefen Lächeln, welches von einem seltsam verklärten Ausdruck in ihrem Blick begleitet wurde. "Nein, wieso sollte es?"
Ein Stein fiel ihm vom Herzen und er atmete so heftig aus, daß er kaum lachen konnte. All die Anspannung für das? Seine Sorgen waren tatsächlich vollkommen unbegründet gewesen. Sie blieb ruhig wie ein Buddha. Es dauerte einen Moment, ehe ihm auffiel, daß sie fast schon zu ruhig war. Eigentlich hatte er damit gerechnet, daß ein Platzregen von Fragen auf ihn einprasseln würde, aber sie sagte gar nichts. Da war nichts außer diesem Lächeln. Hatte sie einen Schock erlitten? Hatte sie es tatsächlich immer gewußt und nur nicht ansprechen wollen, aus welchem Grund auch immer? Oder brauchte sie einfach länger, um die Information sacken zu lassen? Dann sollte er ihr Zeit lassen. "Also... ich hatte auch genug Training für heute. Wollen wir duschen gehen?"
"Ja, gerne. Das war jetzt eigentlich nur peinlich mit dem Gewichtheben", meinte sie und kratzte sich am Kopf.
Er lachte, als ihm plötzlich klar wurde, daß er ihr die gleiche Frage gestellt hatte wie Beryl zuvor, und sie schaute verständnislos drein. "Hab ich etwas witziges gesagt, Caleb?"
"Nein, es ist nur... Heute muß ich wohl den Witz darüber machen, ob wir zusammen duschen wollen."
"Zusamm... Whoaaaa, denk nicht mal dran!" rief sie, gab ihm einen Klaps auf den Arm und lief dunkelrot an.
"Siehst du, das war mein Text, als ich mit Beryl hier war! Keine Sorge, das war natürlich nur ein Scherz. Ich bin wirklich so viel lieber mit dir unterwegs!" Er legte ihr sanft die Hand auf den Rücken und ging mit ihr zu den Umkleiden. Sie schimpfte leise: "Weil dann ich diejenige bin, die rot wird, statt du?"
"So ist es, Jade Sparkle! Du hast mich erwischt!"
Jade rieselte ein warmer Schauer nach dem anderen den Rücken hinab bei seiner Berührung und plötzlich war ihr nach weinen zumute. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie dies hier noch aushielt. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie Verlangen. Jedes Mal, wenn sie zusammen waren, wollte sie ihn berühren, berührt werden, ihm sagen was sie für ihn fühlte. Nachts träumte sie immer häufiger von ihm.
Dabei wollte er nur ihr Freund sein, das hatte er ihr nun wirklich deutlich genug gesagt. Es war nicht fair, weder ihm noch ihr selbst gegenüber. Sollte sie diese Gefühle nicht unter Kontrolle bekommen konnte sie nicht mit ihm befreundet bleiben, es tat zu weh. Vielleicht sollte sie doch ein Gesuch einreichen nach Littlehaven versetzt zu werden...
"He, Kleiner, wenn du hier schon spannen willst zieh wenigstens selbst dein Hemd aus!" Dieser Ausruf einer Frau mit feuerroten Locken, die soeben aus einer der Kabinen mit den Duschen kam, riß Jade in die Wirklichkeit zurück. Die etwas ältere Frau und eine jüngere Blondine hingen nur mit großen Badetüchern bekleidet in der gemischten Umkleide herum und starrten sie und Caleb an.
"Pardon, ich bin in einer Minute weg und überlasse den Damen das Feld", informierte ihr Freund die beiden Fremden und wandte sich an Jade. "Wollen wir gleich noch in eine Bar gehen, um uns zu unterhalten über diese Sache?"
"Welche Sache?" fragte sie verwirrt, was wiederum bei ihm für Verwunderung sorgte. Leise meinte er: "Na, daß ich ein Vampir bin?" - "Ach so! Nein, ist schon okay." Sie klopfte ihm auf den Arm. Zaubertricks waren nur halb so gut, wenn man den Trick dahinter kannte, und wie auch immer der Streich weitergehen sollte, sie war gerade nicht in der Stimmung dafür.
Caleb öffnete gerade den Mund, um noch etwas zu sagen, als die ältere Frau lautstark ihren Spind aufriß, damit sie auch jeder bemerkte, und sich die Haare zu bürsten begann, wobei ihr - sicher 'versehentlich' - das Badetuch zu Boden glitt. Sie machte sich nicht die Mühe es wieder aufzuheben.
Jade starrte über die Schulter hinweg ungläubig auf die Szene hinter ihr und merkte erst durch den erbosten Blick der anderen, daß ihr Freund nur kurz irritiert den Kopf geschüttelt hatte und die Nackte ignorierte, ganz auf seine Begleiterin konzentriert. Er fragte: "Willst du etwa schon heim?"
"Ehrlich gesagt, ja. Sei mir nicht böse, Caleb, aber ich muß noch kochen."
"Eigentlich hatte ich gehofft wir könnten heute länger etwas unternehmen, nachdem unser Treffen in der Karaokebar so unerfreulich kurz war und du so lange krank warst. Wir könnten zu einer der internationalen Imbißbuden in San Myshuno fahren und dir dort etwas besorgen. Sie haben auch außerhalb von Stadtfesten geöffnet!"
"Wirklich, ich bin zu erschossen, um jetzt noch zurück in die Stadt zu fahren. Können wir uns nicht am Wochenende sehen?"
Die nackte Frau feuerte die Haarbürste so energisch in ihre Tasche, daß Jade von dem Lärm zusammenzuckte. "Was hat die für ein Problem?" zischte sie Caleb zu, der sie enttäuscht angesehen hatte und auch nun nicht einmal aufsah und ebenso leise mit einem Schulterzucken antwortete: "Wut, weil ich mich nicht auf ihr Kommando hin ausgezogen habe, oder Neid, weil meine Aufmerksamkeit der schönsten Frau im Raum gilt und nicht ihr, obwohl sie alle Register zieht. Wer kann das schon genau sagen?"
"Du meinst, sie versucht dich auf diese vulgäre Weise anzumachen?" fragte seine Begleiterin mit einem raschen Seitenblick auf die Fremde, die ihr eine Gänsehaut verursachte. "Ziemlich dreist, wo du nicht einmal alleine hier bist."
"Wen interessiert, was Katrina Caliente will? Ignoriere sie einfach."
"Oh, was für eine eiserne Selbstbeherrschung, dabei scheinst du sie sogar zu kennen!" Sie grinste ihn spöttelnd an, doch er verzog keine Miene. "Wer kennt die Calientes nicht?! Ich schaue mir eben nur Damen an, die es wert sind angeschaut zu werden." Er beugte sich zu ihr vor, und das Herz pochte ihr bis in den Hals. "Falls du also trotz fehlender Platzrekorde meinerseits doch noch vor hast dein Shirt zu werfen sag mir Bescheid, damit ich ein Foto machen kann."
"Mum, jetzt hör auf mit dem Mist! Don wird sich aufregen, wenn er reinkommt und du so hier rumstehst!" fuhr in diesem Moment die junge Blondine auf, die sich ihre Sachen genommen und sich in der Kabine umgezogen hatte, wie es in dieser gemischten Umkleide gedacht war.
"Was geht dich an, was Don denkt!" wurde sie von ihrer Mutter angeblafft, woraufhin sie den Mund hielt und nur wütend guckte.
"Das ist mein Stichwort. Ich habe kein Interesse von ihrem Muskelprotz von Freund verprügelt zu werden, auch wenn es nur deshalb ist, daß ich seine Geliebte nicht angeschaut habe. Überleg es dir bitte noch einmal, ob wir nicht doch noch ein paar Minuten ausgehen wollen, ja? Bis später!" Caleb tätschelte ihr die Schulter, schnappte sich seine Sachen aus dem Spind und verschwand in einer freien Kabine, um zu duschen.
Wie in Trance nahm Jade ihre eigene Tasche aus dem Schrank und ging in die Kabine nebenan. Sie schloß ab, zog sich aus und trat unter die Dusche. An einem anderen Tag hätte sie es wohl ein wenig ekelig gefunden eine Gemeinschaftsdusche zu benutzen, aber heute war sie mit ihren Gedanken woanders. Caleb hatte sie als die schönste Frau im Raum bezeichnet. War das wirklich normal unter Freunden? So langsam war sie völlig verwirrt und wußte nicht mehr wohin mit ihren Gedanken und Gefühlen. Es war so schwer, ihm nur eine gute Freundin zu sein, auch ohne solche Kommentare von ihm. Warum mußte er immer wieder Dinge sagen, die in ihr die Hoffnung nährten, daß er sie doch auch auf eine romantische Art mochte? Sie mußte ihm bald sagen, was sie empfand, um ihm wenigstens eine Chance zu geben, damit aufzuhören, ehe sie seine Nähe nicht mehr ertrug. Doch tief im Inneren wollte sie nicht, daß er aufhörte. Im Gegenteil, sie wünschte sich mehr davon. So viel mehr.
So sehr sie es auch versuchte, sie konnte die Tränen nicht zurückhalten.
Als Caleb das Wasser abdrehte und nach seinem Badetuch griff, horchte er plötzlich auf. Ganz leise, aber deutlich, hörte er durch die Wand hindurch, wie in der Nebenkabine jemand schluchzte. Er hörte genauer hin. Es war schwer, die Laute über die laufende Dusche hinweg auszumachen, aber er war sich recht sicher Jades Stimme zu erkennen. Jade weinte! Etwa wegen ihm? Sein Herz sank. War es doch zu viel für sie zu wissen, daß er ein Vampir war? War ihr von allein die Problematik des Knoblauchkranzes aufgefallen? Oder war es etwas anderes? Sie war schon eine Weile so komisch, doch heute ganz besonders. Sie schien ihr Gespräch über Beryl und Grenzen auch noch immer nicht verarbeitet zu haben und wechselte ständig zwischen seltsam verstockt und freundlich offen hin und her. Auf einmal tat es ihm unendlich leid, sie zusätzlich dazu mit seinem Geheimnis belastet zu haben. Was sollte er nun tun?
Unschlüssig rubbelte er sich trocken und zog sich an. Es entsprach zwar nicht seinem Stil, nicht perfekt frisiert rauszugehen, aber das war ihm im Moment egal. Außerdem konnte er sich eh nicht sehen und hätte die Kamera seines Handys benutzen müssen, um seine Haare perfekt in Ordnung zu bringen. Das dauerte stets ewig ohne eine Wandhalterung, und er wollte auf keinen Fall Jade verpassen, denn das Wasserrauschen im Nachbarraum hatte gerade aufgehört. So kämpfte er sogar noch mit seinem Ohrring, als er die Kabine verließ und eine Tür weiter ging. Die Tür war geschlossen und er vernahm gedämpfte Geräusche von innen, inklusive einem leisen Schniefen. Außer ihm war niemand mehr im Vorraum, und die anderen Kabinentüren standen offen.
Er klopfte vorsichtig an. "Jade? Bist du da drin?" Die Antwort bestand aus einem lauten Klappern, als etwas herunterfiel, und einem leisen Fluch, der eindeutig von Jade stammte. "Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Wollen wir wenigstens noch ein paar Minuten in den Stadtpark von Oasis Springs gehen, ehe dein Bus kommt?"
"Nein, ich brauche hier noch eine Weile." Da war ein deutliches Zittern in ihrer Stimme, das sie sehr geschickt zu verstecken versuchte. "Geh ruhig schon vor, wir sehen uns."
"Na schön. Ich melde mich. Danke für das Treffen, Jade."
"Ja, bis dann!"
Verwirrt machte er sich auf den Heimweg. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken hinter der nächsten Ecke zu warten und herauszufinden, was mit ihr los war, doch sie zu beschatten wäre sehr gemein gewesen, und so verwarf er die Idee gleich wieder. Was auch immer in ihr gerade vorging, es war wohl das beste sie in Ruhe zu lassen, bis sie darüber sprechen wollte. Vielleicht ging es um ihn, vielleicht war es auch etwas ganz anderes, das sie so beschäftigte. Ob der Streß der Ungewißheit bezüglich ihres Ex-Chefs sie nun doch noch eingeholt hatte und sie vor Erleichterung weinte? Warum sollte sie in dem Fall nicht mit ihm darüber reden wollen? Wenn sie weiterhin schwieg könnte er demnächst versuchen aus Beryl etwas herauszubekommen, vielleicht wußte sie mehr. Gleichzeitig traute er ihr allerdings auch zu der Grund für Jades Verhalten zu sein, denn was sie ihm über ihr reichlich fruchtloses Gespräch über Vampire berichtet hatte hatte nicht wie ein Grund zur Aufregung geklungen. Da mußte noch etwas anderes sein.
Jade wartete über eine halbe Stunde, ehe sie sich aus der Kabine traute und vorsichtig zur Tür hinaus sah. Keine Spur von Caleb. Glücklicherweise hatte sie ihre Brille dabei gehabt, so konnte sie die verweinten Augen wenigstens ein bißchen verstecken. Außerdem taten die Kontaktlinsen nun ohnehin zu weh, und sie hatte das Gefühl, für heute noch nicht fertig zu sein mit dem Weinen. Müde kletterte sie in den Bus nach Willow Creek und bemühte sich auf der Fahrt nicht an ihr Liebesleben zu denken, um nicht in der Öffentlichkeit in eine blamable Situation zu geraten. Es war schwer. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Vielleicht war es besser, wenn sie sich nicht so oft sahen und eher über das Handy kommunizierten. Ihn höchstens alle zwei Wochen samstags zu sehen klang doch gar nicht so schlecht. Sie konnten immer noch über alles mögliche plaudern per Text oder Anruf, ohne daß sie in seine grauen Augen schauen mußte. Das war doch einfacher, oder? Oder? Ein dicker Kloß bildete sich in Jades Hals, aber sie blieb tapfer.
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Kommentare
ich hoffe, sie bekommt das auf die Reihe?
vor allem diese Selbsttäuschung ...
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