"Hallo?" Jade sah durch den Durchbruch zur Küche, ob ihr Gast schon wieder im Haus war. Doch auch da war er nicht. Dann mußte er noch draußen sein. Sie atmete tief durch, sah durch ein Fenster zum Fluß hinaus und meinte ihn am Ufer stehen zu sehen. Sie öffnete es und rief leise: "Caleb? Kommst du rein?"
"Schon da, Teuerste."
Jade zuckte erschrocken zusammen und fuhr herum. Er stand genau hinter ihr. Wie war das möglich?! Sie war sich so sicher gewesen, daß er das da draußen gewesen war, aber wie hätte er so schnell zu ihr kommen sollen? Die Haustür fiel ins Schloß, und sie glaubte sogar Schlieren von schwarzem Rauch im Flur zu sehen. "Was ist das?!"
"Was denn, Jade?" Er trat neben sie und folgte ihrem Blick. "Es tut mir leid, ich sehe nichts."
"Ich... Ich auch nicht mehr. Aber die Tür! Wie bist du so schnell...?"
"Wenn eine junge Dame ruft, kann einfach keine Tür mit mir mithalten!" Er grinste jungenhaft. "Und? Ist dein Kopf nun trocken und bereit für eine Buchbesprechung?"
Sie lächelte zaghaft. "Oje, erwarte bloß nicht zu viel! Ich konnte nur sehr wenige Bücher mitnehmen, und einige davon hab ich als Kind gelesen. Sicher sind die total peinlich, wenn man sie jetzt wieder zur Hand nimmt."
"Ist das nicht das schönste am Lesen, sich später noch einmal daran zu erinnern, wie man ein Buch selbst erlebt und welche Stellen man in seiner Fantasie verbessert hat?" sinnierte er und folgte ihr zum kleinen Bücherregal.

"Ja, genau das finde ich auch! Kennst du dieses Buch hier? 'Die Wiederholt Endliche Geschichte'? Ich hab auf jeder Seite Blut und Wasser geschwitzt, ob die Geschichte noch weitergeht! Mike Trende schreibt ganz tolle Fantasy!"
"Nein, davon habe ich noch nie gehört", meinte er und zog es aus dem Regal, um den Klappentext zu lesen. Dabei fiel ihm allerdings ein anderes Buch auf. "Aber dieses hier von Sorgensen, das habe ich schon zweimal gelesen. 'Liebe in den Zeiten der Stille'."
"Wow, du kennst es? Ich liebe es auch! Gina ist so ein toller Charakter, wie sie mit der arrangierten Ehe umgeht und mit dem Tod ihres Mannes."
"Ja, der Teil gefällt mir auch am besten!" Caleb schaute interessiert über die restlichen Bücher, deren teils abgewetzte Rücken deutlich zeigten, wie sehr sie geliebt und immer wieder gelesen wurden. "Darf ich mir den Roman von Trende einmal ausleihen?"
"Klar!"
Der Mann stutzte, als er den Titel des wohl ältesten Buchs im Regal las. "'Die Abenteuer von Rosa Rüschen' von Ace Montegue? Bitte sag mir, daß du das von deiner Großtante bekommen und nicht selbst erstanden hast."
"Whooooah, das kennst du nicht?! Gut, okay, es ist ein Kinderbuch, aber es ist auch ein Fantasyroman!" Jade berichtete aufgeregt, und es gefiel ihm, wie es in ihren Augen plötzlich leuchtete. "Rosa Rüschen ist ein Piratenkapitän, der von den anderen Piraten wegen seinem Namen gehänselt wird."
"Ah, das ist... geringfügig weniger schlimm als erwartet. Und was passiert in dem Buch?" hakte er nach.

"Oooh, eine ganze Menge!" Sie begann zu erzählen. Und wie sie begann zu erzählen. Jade blühte regelrecht auf, als sie die Abenteuer der Piratenmannschaft nacherzählte. Sie erzählte und erzählte, spielte Teile der Geschichte mit Gesten vor und benutzte verschiedene Stimmlagen für die unterschiedlichen Charaktere. Caleb war fasziniert. Diese Frau war der geborene Unterhalter, sie wußte es nur noch nicht! Ihre Erzählung nahm ihn mit auf Schatzinseln und die große weite See, ließ ihn teilhaben am Leben dieser fiktiven Charaktere, die ihr so viel bedeuten mußten, und er ließ sich willig führen.
"... und mit einem letzten Schwung seines Säbels streckte Kapitän Rosa den Geisterpiraten nieder! So!" endete sie schließlich völlig außer Atem. "Dann gab es Zuckerwatte für alle!"
Ihr Gast klatschte begeistert Beifall. "Was für eine fantastische Geschichte, Jade!"

Jade erstarrte mitten in der Bewegung. "Herrje! Jetzt hab ich ja schon alles verraten und dir das Lesen verdorben! Es tut mir so leid!"
"Das macht nichts", erklärte er zufrieden, "ich wollte es ohnehin nicht lesen."
"Oh. Du findest es doof." Ihr Gesicht fiel regelrecht in sich zusammen, und er berührte sie sanft am Arm, damit sie ihn ansah.
"Das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Ich bin jedoch überzeugt davon, daß die Geschichte, die in diesem Buch steht, nicht einmal halb so gut ist, wie du sie mir gerade fantasievoll aus dem Gedächtnis nacherzählt hast. Danke dafür."
"Oh", machte sie. Als die Erkenntnis einsickerte, daß er ihr ein Kompliment gemacht hatte, wurde sie rot. "Okay. Nächstes Mal erzählst du mir ein Buch, in Ordnung? Jetzt hab ich den ganzen Abend geplappert."

Caleb lachte. "Na schön, abgemacht, aber du versprichst mir, mein zartes Ego zu schonen, wenn ich es nicht halb so gut mache wie du."
Beide lachten, ehe ein wenig behagliche Stille eintrat. Der Vampir sah zum Fenster hinüber. Es war über ihre Erzählung tatsächlich spät geworden. "Es dunkelt schon, ich sollte dich nicht mehr länger aufhalten."
"Aaaaach...", machte sie nur abwehrend, aber ihr Magen knurrte verräterisch. "Oje! Entschuldigung! Ich hab Hunger." Sie dachte kurz nach, dann erschrak sie. "Ach, du meine Güte! Was bin ich für eine schlechte Gastgeberin! Ich hab dir gar nichts angeboten! Möchtest du etwas essen oder trinken?"

Der Vampir schüttelte den Kopf. Er wollte sie nicht davon abhalten ihre Bedürfnisse zu stillen, aber es gab da noch eine Sache, die ihn brennend interessierte, und er wollte nicht gehen, ehe diese Neugier nicht gestillt war. "Nein, vielen Dank, aber es gibt etwas, das ich heute gerne noch tun möchte."
Jades Gesicht wurde noch roter und ihre Augen kugelrund vor Schreck. Er fand ihre Miene, wenn sie dachte, daß er mit ihr flirtete, dermaßen putzig, daß es ihm inzwischen diebische Freude bereitete solche Andeutungen zu machen, auch auf die Gefahr hin, daß sie ihn danach wieder für kurze Zeit ins Aus schickte, um sich zu beruhigen.
Sie schluckte und spannte sich. "Ähm, und das wäre?"
"Ich würde dich gerne darauf spielen hören", erlöste er sie rasch und deutete auf die Gitarre, die hinter ihnen in ihrem Ständer ruhte.

Jade atmete auf. Dann flippte sie um ein Haar aus. "Oh, nein, nein, das willst du garantiert nicht, glaube mir!"
"Wieso nicht? Ich gehe jede Wette ein, du spielst genauso gut, wie du Geschichten nacherzählst."
"Nein, wirklich nicht!" Sie lachte prustend. Allein die Vorstellung, mit ihrem derzeitigen Können für jemanden zu spielen, war absolut lächerlich.
Ihr Gast sah sie verständnislos an. Als sie die Lachtränen aus den Augen tupfte versuchte er es noch mal. "Bitte tu mir den Gefallen, Jade Sparkle. Ich bitte dich wirklich sehr darum."
Der Frau stockte der Atem unter seinem Blick. Wenn er so ernst dreinschaute war er einfach umwerfend attraktiv. Ihr wurde sehr heiß unter ihrer Mütze, und es prickelte in ihrem Bauch. Na schön, etwas tiefer als dort. Ehe sie etwas dummes tun oder sagen konnte griff sie energisch nach ihrer Gitarre.
"Na schön, Caleb. Du bist ein Quälgeist, und ich gebe mich geschlagen. Aber ich verlange zwei Dinge. Erstens: Du wirst nicht über mich lachen! Zweitens: Du sagst mir deine ehrliche Meinung, selbst wenn diese Meinung ist, daß du gerne über mich gelacht hättest."


Der zweite Punkt wunderte ihn, doch er nickte bestätigend und machte eine einladende Handbewegung. Jade begann ein simples Lied zu spielen, konzentriert, als hätte sie seine Anwesenheit sofort vergessen, sobald die erste Note erklang.
Es war wirklich nicht besonders gut, jedoch auch nicht zum Weglaufen schlecht. Caleb hörte so manche fehlende oder falsche Note, dabei war er kein großer Musikkenner. Die Melodie hingegen traf sie sehr gut, sie war im Takt und das Lied - ein bekannter Rocksong namens 'Mein Ein und Alles' - gut zu erkennen.
Tapfer hörte er ihr bis zum Ende zu.

Seine Gastgeberin stellte die Gitarre sorgfältig zurück und sah ihn auffordernd an. "Und? Wie fandest du es?"
"Nun ja..." Er rang um Worte. Am liebsten hätte er sie mit Komplimenten überhäuft, aber sie hatte um schonungslose Ehrlichkeit gebeten, und es wäre verlogen gewesen, gerade die an ihr zu schätzen und sie im Gegenzug zu belügen. "In der jetzigen Fassung würde ich diesen Song nicht auf CD kaufen. Aber es war nicht ganz schlecht gespielt. Du hast ein sehr gutes Taktgefühl, soweit ich das beurteilen kann." Er zog den Kopf ein und wartete auf ihren Schock.
"Danke!" sagte sie schlicht, offenbar zufrieden.
"Du bist nicht gekränkt?"
"Nein, ehrliche Kritik ist mir die liebste, und deine Meinung deckt sich mit der meinen. Ich finde auch, daß ich den Takt schon ganz gut raus habe, aber mit den Akkorden hapert es noch."
"Wie lange übst du denn schon an diesem Lied?"
"Oh, das ist eins meiner Lieblingslieder, ich habe heute morgen angefangen es aus dem Gedächtnis heraus nachzuspielen. Da muß ich auf jeden Fall noch weiter dran arbeiten und es noch ein paar Mal anhören, wenn ich nicht im Internet die Noten finden kann."
"Das war improvisiert?!"
"Ja, du wolltest ja unbedingt etwas hören! Was sollte ich denn machen? Dir meine Tonleitern vorspielen?"
Nun war er doch beeindruckt. "Jade, wie lange spielst du schon Gitarre?"
"Gitarre seit etwa acht Tagen. Früher habe ich aber schon diverse Flöten gespielt."

"Seit acht Tagen..." Nun war Caleb sogar schwer beeindruckt. "Teuerste, ich möchte dich unbedingt in einer Woche erneut spielen hören. Wenn du nach nur acht Tagen so spielst... Das ist unglaublich!"
"Herrje, jetzt fang du nicht auch noch an so zu reden wie mein Musiklehrer damals. Mr. Kramer und sein Gerede von meinem Genie!" Sie rollte mit den Augen. "Genau deshalb wollte ich eine ehrliche Meinung."
"Die hast du bekommen, dafür verbürge ich mich. Und ich möchte dich wirklich gerne später noch einmal spielen hören."
"Sobald ich besser geworden bin, gerne. Morgen kann ich etwas üben, aber dann muß ich erstmal wieder in der Poststelle arbeiten." Sie seufzte, und er verstand den Hinweis.
Caleb räusperte sich. "Dann sollte ich dich jetzt wirklich nicht mehr länger aufhalten. Danke für das geliehene Buch, und bis demnächst!"
"Gerne. Dein Besuch hat mir viel Spaß gemacht, Caleb."
"Das Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit, Jade Sparkle!"

Sie brachte ihn noch zur Tür und winkte ihm nach. Als sie sich seufzend daran machte ein paar Eier für ein spätes Abendessen in die Pfanne zu schlagen stellte sie fest, daß ihre Laune einen deutlichen Knick bekommen hatte, weil er nicht gesagt hatte wann er wieder vorbeikommen wollte. 'Er wird ja auch was anderes zu tun haben als ständig hier herumzuhängen. Vermutlich arbeitet er auch die ganze Woche, so wie du', versuchte sie sich zu beruhigen. Es war schön, einen Freund zu haben. Sie lachte lautlos. War es bescheuert, ihn nach so kurzer Zeit schon so zu bezeichnen? Jade hatte eigentlich nie mehr als Bekannte gehabt, was wußte sie schon davon, wie lange man anstandshalber warten mußte, um eine Freundschaft zu besiegeln?
Ihr Blick fiel auf das Küchenfenster, in dessen Licht sie sich nun, da es draußen vollständig dunkel war, spiegelte. "Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren..." sagte sie laut zu ihrem Spiegelbild. Nein, das sah albern aus. "Guten Tag!" Oh mann, zog sie dabei immer so eine Schnute? "Guuten Tag! Oh nein, mein Ei verbrennt!" Rasch nahm sie die Pfanne vom Herd. Na schön, sie würde das morgen abend mal üben. Wenn es denn so wichtig war...

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