"Hmpf. Na schön. Da ich weder so romantisch verklärt noch so miesepetrig bin wie du gebe ich dir nun genau eine Chance, mich nach meinem Liebesleben auszufragen."
"Dein Liebesleben?" Er zog müde die Brauen hoch, war mit dem Themenwechsel aber offenbar einverstanden. "Bei unseren letzten Treffen wolltest du nichts dazu sagen. Soll ich mir erneut eine blutige Nase holen, indem ich frage?"
"Vielleicht bin ich heute aufgeschlossener?" Sie lächelte hintergründig.

Caleb überlegte kurz, als ihm etwas anderes klar wurde. "Erläutere mir zunächst etwas anderes. Du wußtest also die ganze Zeit über von Jades Gefühlen für mich?"
"Ja, aber noch mehr Hinweise konnte ich dir nicht geben, das wollte sie nicht."
"Wenn du davon wußtest und noch dazu der Meinung bist ich empfände insgeheim dasselbe für sie, wieso hast du dich mir dann trotzdem mehrfach an den Hals geworfen? Ist das der Grund dafür, daß ihr seit Wochen nicht miteinander sprecht?"

Angesichts dieser Vorwürfe rutschte Beryl etwas unangenehm berührt auf dem Sofa herum. "Nachdem ich ihr mehrfach gut zugesprochen hatte, hab ich es irgendwann aufgegeben und eben wieder an mich gedacht. Sie wollte dich ja nicht mit ihren Gefühlen belästigen und darüber hinwegkommen, also..."
"... Also wolltest du ihr zuvorkommen und hast mich mit deinen Sehnsüchten 'belästigt', ja? Ich bin wirklich sehr enttäuscht von dir, Beryl. Ich dachte, Jade sei deine Freundin."
"Ja, ja, schon gut, du Moralapostel! Aber Jade weiß nichts davon, also kannst du ihr naives, kleines Jungfrauenseelchen schonen, indem du einfach die Klappe hältst." Sie mochte es ganz und gar nicht, von ihm dermaßen an die Wand gestellt zu werden. "Ich hab dir oft genug gesagt, daß es mir nicht um Gefühle geht. Wenn jemand mir ständig vom Kleid im Schaufenster vorschwärmt will ich es halt irgendwann auch haben, und wenn diejenige nicht aus dem Quark kommt, dann komme ich ihr eben zuvor!"

"Und was jetzt?" fragte er schlicht, ohne näher darauf einzugehen soeben mit einem Kleidungsstück verglichen worden zu sein.
"Ich bin freizügig, keine Schlampe, und ich teile nicht gern. Solange du sie am Arm hast interessierst du mich nicht." Die Malerin sah ihm direkt in die Augen, und der Vampir glaubte ihr. Er entspannte sich ein wenig. "Nun gut, dann kommen wir zu deinem Liebesleben zurück. Also, wer ist es? Doch nicht etwa ein Vampir?"
"Selbst wenn, wieso sollte das ein Problem sein? Plötzlich eifersüchtig, Vampirchen?" Sie stand auf und brachte ihn zur Tür, was ihn wunderte, da sie doch eigentlich tratschen zu wollen schien.
Caleb sah sie herausfordernd an. "Ganz sicher nicht, aber der Gedanke bietet sich angesichts deiner Neugier auf mich an, und der einzige Mann, auf den du mich je angesprochen hast, war Daichi."
"Ach iwo, der! Der schaut ab und zu für einen Plausch vor der Haustür vorbei, das ist alles."
"Dann ist es Travis? Ihn dürftest du dank Summer besser kennen." Zwar wußte Caleb, daß er mit dieser Vermutung falsch lag, aber ihre Reaktion würde ihm vielleicht zeigen, ob der Programmierer eine Chance hatte.
"Nein, wieder falsch! Was in Travis Köpfchen vorgeht versteht wohl nur er selbst."
Das war leider nicht hilfreich. Der Mann dachte an seine Informationen aus erster Hand zu Travis Gefühlen, aber er sollte sich ja nicht als Verkuppler betätigen und schwieg daher. Seine Neugier war nun tatsächlich geweckt. "Wer ist es dann?"
Sie öffnete die Tür und deutete kurz zum Trailer auf der anderen Straßenseite. "Thilo Brighton, mein Nachbar. Keine Ahnung, wie der mir wochenlang entgehen konnte. Vermutlich, weil er nachts arbeitet. Er ist auch gerade wieder weg, wir können uns nur selten sehen."

Der Vampir folgte ihrer Geste mit den Augen. "Keine sehr ansprechende Behausung."
"Ach, von innen ist es viel aufgeräumter und netter, als es von außen aussieht."
"Du gehst also bei ihm ein und aus? Wer ist er und wie ist er?"
"Auf einmal doch interessiert am Klatsch, hm? Er ist in der Unterhaltungsbranche, als Komiker."
"Ein Komiker?!" Caleb fuhr zusammen.
"Warum so brüskiert? Er wird es noch weit bringen als Komödiant, das schwör ich dir. Er ist urkomisch!"
"Dein kurzlebiges Abenteuer muß komisch sein? Eine ungewöhnliche Anforderung, mit der du mich überrascht." Ihm schwirrte ohnehin schon der Kopf von seinen eigenen Emotionen, da machte er sich heute nicht die Mühe den Rest seiner Hirnkapazität auf die Analyse von Beryls Gedänkengängen zu verschwenden.

Die Malerin überspielte ihre Unsicherheit mit einem Kichern. Da Caleb nun erst einmal in unerreichbare Ferne gerückt war gab es keinen Grund mehr, Thilo auf Abstand zu halten oder zu verheimlichen. Konkurrenz belebte außerdem das Geschäft. "Erstens bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich ihn nicht länger behalten will, denn er ist echt süß. Und zweitens ist er nicht nur lustig, sondern auch sehr attraktiv. Ich würde sogar sagen, er sieht besser aus als du."
Als der Vampir nicht sichtbar auf die Spitze reagierte, berichtete Beryl weiter: "Er hat mal versucht für mich vegetarisch zu kochen, was ich ihm hoch anrechne. Das hat mich davon überzeugt, daß er auch als Kumpel was taugt, denn er merkt sich meine Vorlieben und Abneigungen. Ansonsten ist er... ein wenig wie Jade als Mann, wie ich zugeben muß."
"Wie meinen?!"
"Naja, musikalisch, verspielt und ein wenig verschroben, aber auf nette Art, du weißt, wie ich das meine." Beryl überlegte kurz. "Außerdem ist er ziemlich ehrgeizig, was ich ebenfalls attraktiv finde. Er will es ganz weit bringen in seinem Metier, um es seinen Eltern zu zeigen, die ihn rausgeworfen und enterbt haben, weil er das Studium zugunsten der Komikerkarriere geschmissen hat. Noch eine Gemeinsamkeit mit Jade."
"Dann wohnt er dort, weil auch er herkam, um aus dem Nichts ein neues Leben aufzubauen?" fragte der Vampir nun sanfter.
"Nicht ganz. Seine Familie lebt auch hier im Stadtteil."
"Tatsächlich?"
Sie nickte. "Er hat seinen Namen ändern lassen, aber alle Welt tuschelt darüber, daß er eigentlich ein Landgraab ist."
"Ein Landgraab?! Er lebt also fast noch in Sichtweite zur millionenschweren Villa seiner Eltern!"

Die Landgraabs waren die reichste Familie der Stadt und ihre Geschäftspraktiken nicht ganz unumstritten. Geoffrey und Nancy Landgraab gehörten unter anderem mehrere Wolkenkratzer, Einkaufszentren und andere Gebäude in San Myshuno. Sie erzielten Mieteinnahmen aus Dutzenden von Fabriken und unzähligen Wohneinheiten, Geschäften und Büros. Ihre Vorfahren gehörten zu den Stadtgründern, so daß sie nur altes Geld vermehrten. Das Paar war so reich, daß sie es nicht einmal zeigen mußten. Sie hatten es nicht nötig selbst zu arbeiten, und wenn sie gerade mal keine Seiten in den Klatschblättern füllten sah man sie meist getrennt in diesem oder jenem Stadtteil joggen.
Der einzige Sohn, von dem Caleb bislang etwas gelesen hatte, war ein Teenager, und man hörte keine guten Dinge über Malcolm Landgraab. Vermutlich war das ihr Lieblingskind, und Thilo war spätestens durch seinen Widerstand zum schwarzen Schaf avanciert.

"Ja, vermutlich will er ihnen damit den Stinkefinger zeigen, aber es muß hart sein seine Familie ständig ohne Gruß an sich vorbeigehen zu sehen. Thilo ist jedoch sehr selbstbewußt. Seinen Dickkopf mag ich besonders an ihm, er erinnert mich an mich selbst." Sie grinste. "Aber sprich ihn nicht drauf an, was ich dir über seine Familie gesagt habe, ja? Ich hab das alles aus zweiter Hand von den Nachbarn und nicht von ihm selbst, also redet er wohl nicht gerne darüber. Naja, ich würde auch nicht gerne zugeben, daß dieser verzogene Bengel, der hier ständig langstolziert und sich für was besseres hält, mein kleiner Bruder ist."
"Wieso sollte ich ihn darauf ansprechen?"
"Oh bitte, Vampirchen! Als wenn ich nicht wüßte, daß du jetzt neugierig auf meinen Liebhaber bist. Übrigens hat er inzwischen mehrmals darum gebeten meine Freunde kennenzulernen, also geh ihn ruhig besuchen, wenn du mal Zeit hast. Egal, was an der Liebesfront draus wird, ich bin mir inzwischen ziemlich sicher, daß Thilo und ich Freunde bleiben. Von nun an wirst du ihn bei mir des öfteren antreffen, und du hast doch angeblich nur darauf gewartet in Form meines Freunds auch mal einen Mann kennenzulernen."

Caleb sah sie mit einem undeutbaren Ausdruck in den Augen an. "Das glaubst du wirklich? Daß ihr Freunde sein werdet, egal was ihr fühlt?"
"Auf jeden Fall. Vielleicht keine besten Freunde, aber ob wir es nun nächste Woche gut sein lassen, auf Dauer Freunde mit gewissen Vorzügen werden oder sogar noch etwas anderes daraus wird - ich glaube, wir haben so gut miteinander geklickt, daß wir uns nie aus den Augen verlieren werden, selbst wenn einer mal ein Jahr oder zwei zum Abkühlen brauchen sollte. Ich bin da nicht so romantisch wie du, weißt du. Bis auf meinen letzten Ex kriegt jeder noch Neujahrsgrüße. Die Zeit heilt da fast alle Wunden, solange man sich friedlich getrennt hat, selbst wenn's direkt nach dem ersten Mal war." Sie klopfte ihm auf die Schulter und ging wieder ins Haus. "Gute Nacht, Caleb!"
Kaum hatte sie die Tür geschlossen schob sie ihren Kopf auch schon wieder heraus. "Ach ja! Abends triffst du ihn nur dienstags und mittwochs an, sonst ist er immer ab 17 Uhr arbeiten. Und wenn er nicht da ist, dann ist er bei mir. Dann ist hier Sperrzone, klar!"

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