Am darauffolgenden Tag, also dem Samstag, beschloß Beryl am frühen Morgen vor der Arbeit im Fitneßstudio gezielter etwas für ihre Figur zu tun. Wenn sich mit Thilo nun etwas anbahnte wollte sie selbstverständlich den bestmöglichen Eindruck machen.
"Oh Mann, mit dem Gerät kann aber was nicht stimmen!" preßte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, während sie sich damit abrackerte an ihrer Beinmuskulatur zu arbeiten. Der Schweiß lief ihr in Strömen hinab und die Gewichte bewegten sich kaum, dabei joggte sie doch ständig!

"Sieh an! Wenn das nicht meine schöne Frau Nachbarin ist!" rief da eine fröhliche Stimme. Die Rothaarige hielt sofort erschrocken inne und sah auf, bemüht sich die Anstrengung nicht anmerken zu lassen. Tatsächlich, da stand Thilo in Sportklamotten nur wenige Meter von ihr entfernt und winkte ihr fröhlich zu. Er bot einen seltsamen Anblick, in kurzen grünen Shorts mit einem blauen, ärmellosen Shirt darüber. Dazu trug er weiße Kniestrümpfe in leuchtend gelben Sportschuhen. Trotz seines wilden Anblicks, der an einen in einen Farbtopf gefallenen Fußballspieler erinnerte, freute Beryl sich ihn zu sehen, da sie um diese Zeit nicht mit ihm gerechnet hatte. "Oh, hallo Thilo! Was für eine Überraschung!"
"Allerdings! Erst verpassen wir uns monatelang, und dann sehen wir uns an zwei Tagen direkt hintereinander! Wenn da mal nicht das Schicksal Ping-Pong mit uns spielt!" lachte er und trat näher an sie heran.
"Schicksal, huh?" Beryl lächelte gequält. Irgendwie erinnerte er sie soeben ein wenig an Jade. Das war doch hoffentlich nicht auch so ein Berufsromantiker?
"Naja, oder wer auch immer im Puppentheater namens Leben die Fäden führt." Er zwinkerte und fügte als Themenwechsel schnell hinzu: "Wird am Samstag in der Galerie nicht gearbeitet?"
"Doch, ich muß leider gleich los, und morgen auch. Beide Tage von 9 bis 16 Uhr."
"Wie dumm, bei mir ist leider ebenfalls am Wochenende Hochbetrieb. Ich muß nachher von 17 bis 23 Uhr los und bin nur hier, weil ich nicht mehr schlafen konnte."
"Na, kein Wunder, daß wir uns nie gesehen haben! Wir geben uns ja quasi die Klinke in die Hand!" Beryl warf entsetzt die Arme in die Luft und Thilo machte eine zustimmende Geste. "Zu dumm, zu dumm! Was für ein Glück, daß wir heute beide unter die Frühaufsteher gegangen sind, denn wir sollten allen Widrigkeiten zum Trotz unbedingt an unserem Plan festhalten, uns näher kennenzulernen, oder nicht?"
"Auf jeden Fall! Es sieht allerdings schlecht aus für die Wochenenden, huh? Wie steht es denn mit innerhalb der Woche? Ich habe montags und dienstags frei!"
"Und ich mittwochs und donnerstags. Da meint es jemand wirklich nicht sehr gut mit uns, hm?"
"Das gibt's ja wohl nicht!"
"Alle Zeichen stehen auf Brieffreundschaft!" lachte der Blondschopf, aber die Unzufriedenheit war ihm deutlich anzusehen.
"Auf keinen Fall!" fuhr Beryl auf. "Wir wohnen direkt gegenüber, da muß sich doch ein Weg finden lassen sich gelegentlich zu sehen!"


"Das wäre sehr wünschenswert! Eine Nachbarin, die selbst beim Sport so überragend gut aussieht, muß man einfach regelmäßig zu Gesicht bekommen!"
"Uh... Was für eine charmante Lüge!" Die Rothaarige war tatsächlich verlegen. Heute trug sie ihren mausgrauen Jogginganzug, der zwar schön eng saß, sie aber leicht blaß und müde wirken ließ, wenn sie nicht konstant lächelte. Außerdem hatte sie gar kein Make-up aufgelegt und sah sicher grauenhaft aus nach dem Training an der Maschine. Nach der Begegnung heute würde sich das unbedingt ändern. Wasserfester Eyeliner mußte her!
"Lüge?! Ich weiß gar nicht, was das Wort bedeutet!" beteuerte er selbstsicher und lachte so herzlich, daß sie gar nicht anders konnte als ihm zu glauben und ebenfalls zu kichern.

"Na schön", meinte Beryl, "Was bleibt uns also? Montags und dienstags vor deiner Schicht und mittwochs und donnerstags nach meiner, richtig?"
"Das mag nicht reichen für einen Ausflug in den Vergnügungspark, ist aber doch durchaus akzeptabel für zwei wild Entschlossene wie uns."
"Da magst du recht haben. Hast du am kommenden Montag denn morgens Zeit? Ich lade dich zum Frühstück ein!"
"Das Risiko willst du eingehen? Du kennst meine Tischmanieren noch nicht!" Er grinste schelmisch.
Sie kniff die Augen abschätzend zusammen. "Hmmm... Dann sollte ich mir das noch mal überlegen und dich zunächst in freier Wildbahn studieren, wie?"


"Wenn du dir mein Bühnenprogramm ansehen magst bist du mehr als willkommen!"
"Okay, Mr. Komiker, in welchen Club muß ich denn kommen, um dich anzufeuern?" fragte Beryl interessiert.
"Das kommt darauf an, wann du kommen möchtest. Ich bin fast jeden Tag woanders."
"Wann möchte ich denn am besten kommen?"
"Na, doch hoffentlich mit mir zusammen." Er stoppte sich augenblicklich und hob die Hand. "Nein, Entschuldigung, der war nicht gut für eine so frühe Begegnung!"
"Aber nicht doch, das ist genau meine Art von Humor!" Beryls Augen blitzten und sie lachte hinter vorgehaltener Hand. "Also, wo und wann kann ich dich auftreten sehen?"
"Das kommt darauf an, wieviel Zeit du hinterher für einen Drink hast. Hier in Oasis Springs bin ich erst am nächsten Wochenende wieder gebucht. Dieses Wochenende bin ich im Honey-Pop in San Myshuno und Montag und Dienstag im Blauen Samt in Willow Creek. Jeweils bis 23 Uhr."
"So verlockend es auch wäre nach der Arbeit vorbeizuschauen, ich sollte es nicht tun. Die Wochenenden sind stets Streß pur und ich wäre keine gute Gesellschaft. Aber Montag Abend im Blauen Samt klingt doch gut nach der Arbeit, dann habe ich Zeit für Drinks und da war ich auch noch nie."
"Aw, da hast du bislang aber etwas verpaßt!"
"Den Eindruck hab ich auch!"
"Der Blaue Samt ist ein ungewöhnlicher Schuppen und sehr gemütlich. Schön, dann freue ich mich darauf dich am Montag zu sehen! Bis dann, schöne Nachbarin, und arbeite nicht zu viel!" Er winkte und joggte zu den Umkleiden.


"Hat er überhaupt trainiert oder nur seine Socken spazieren geführt?" fragte sich Beryl kopfschüttelnd und machte sich auch auf den Weg. Sie mußte daheim duschen und frühstücken, und wenn sie dabei nicht trödelte hatte sie vielleicht eine Chance nicht zu spät zu kommen. Aber eine Verabredung war die Verspätung wert. "Das wird was!" freute sie sich und rannte noch schneller als sonst.

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