Es ging bereits auf Mitternacht zu, als Lilith und Caleb aus dem Kino kamen. Da die Vampirin auf dem Kino in San Myshunos Modeviertel bestanden hatte - angeblich weil dieses die größte Leinwand hatte - schlenderten die beiden Vampire noch eine Weile durch die fast menschenleere Innenstadt und plauderten vergnügt über den Film, der Lilith wie erwartet überaus gut gefallen hatte und auch ihren Bruder trotz kümmerlicher Liebesgeschichte besser unterhalten hatte als erwartet. Sie versorgte ihn unentwegt mit zusätzlichen Informationen und Details aus der Serie, damit er die Aussage des Films im Nachhinein noch besser verstand, und Caleb hörte höflich zu. Es war selten, daß seine Schwester derart aufblühte und Interesse an der modernen Menschenwelt zeigte, daher war er mehr als bereit doppelt so viele Anekdoten zu Sim Trek über sich ergehen zu lassen als er für möglich gehalten hatte.
Der Himmel war in ein dunkles, samtiges Blau getaucht, doch in den Schaufenstern brannte selbst sonntags und um diese Zeit noch Licht, und die zwei betrachteten die Auslagen.
"Wollen wir noch in einen Nachtclub gehen?" fragte Lilith gut gelaunt. "Der Film war so gut, jetzt bin ich doch glatt durstig vom Mitfiebern!"
"Hier gibt es nur das Honey-Pop, wenn dir mit einer Karaoke-Bar auch geholfen ist", erklärte Caleb ihr beiläufig, während er die Instrumente im Schaufenster eines Musikladens betrachtete und überlegte, welches Jade Sparkle wohl als nächstes kaufen und erlernen würde. "Die Getränke sind dort allerdings nur mittelmäßig."
"Stell dich nicht dumm, Bruderherz. Das einzige, was ich mir an der Bar bestellen würde, ist der Kellner."
"Mag sein, nur fällt es auf Dauer auf, wenn du in einer Bar kein Getränk bestellst."
"Du weißt, daß mir davon schlecht wird."
"Dann sollten wir entweder den Stadtteil wechseln und einen wirklichen Nachtclub oder eine Lounge besuchen oder uns ein anderes Ziel suchen, denn das Honey-Pop ist zu gut beleuchtet, um nicht aufzufallen. Das Künstlerviertel liegt ganz in der Nähe. Wir könnten die Kasbah-Galerie ansehen."
"Eine Galerie? Da soll ich um diese Zeit noch jemanden auftun können, und das unauffälliger als in der Bar?"
"Nicht unbedingt, aber du könntest dir die U-Bahn Station vornehmen, während ich mich umschaue, ob sie dort auch Gemälde von Beryl ausstellen. Sie arbeitet schließlich dort."
"Klingt schon besser." Lilith grinste, doch insgeheim hatte sie auf etwas anderes gehofft, auch wenn die Hoffnung völlig irrational war. Wieso sollte jemand so dumm sein...
Sie blieb stehen, als Caleb plötzlich lauschend den Kopf hob. "Was ist?" fragte sie. Aus einer Seitenstraße drangen leise Stimmen zu ihnen heran. Die Vampirin konzentrierte sich ebenfalls auf die Geräusche und erkannte die gleichermaßen verängstigte wie genervte Stimme einer Frau und eine leicht lallende männliche Stimme. Offenbar bedrängte der Mann die Frau. Liliths Brauen hoben sich. Sie hatte Caleb zwar extra ins Kino in der Nähe des verlassenen Kaufhauses geschleppt, aber sollte sie tatsächlich ihren völlig verrückten Wunsch erfüllt bekommen und hier auf die Typen treffen, die auf dem Konzert Ärger gemacht hatten?
"Das gibt es doch nicht...", murmelte ihr Bruder tatsächlich mit einem leisen Knurren und stapfte auf die Gasse zu. "Warte hier, Lilith, ich muß kurz etwas klären."
Der Vampirin sah ihm nach und gab nur deshalb kein Kontra, weil sie ein Stück weiter zwischen zwei Geschäften einen weiteren Menschen witterte, der sich dem Geruch nach soeben an einer Hauswand erleichterte. Sie nahm darüber hinaus denselben Biergeruch wie aus der Gasse wahr und schlenderte betont unauffällig in die entsprechende Richtung. 'Ach, laß es bitte den größeren sein!' Sie sah sich nach Überwachungskameras um, doch hier gab es keine. Umso besser.
Lilith blieb vor dem Schaufenster stehen und tat, als interessiere sie sich für die ausgestellten Schuhe.
"Na, Puppe, so ganz alleine hier?" erklang es plötzlich anzüglich neben ihr.
Mit einem wölfischen Grinsen drehte sie sich zu dem Fremden um und erkannte zu ihrem Entzücken, daß es tatsächlich der größere sein mußte. Das war ja wie Geburtstag und Lichterfest in der gleichen Nacht! Erfreulicherweise roch sie nur Bier in seinem Blut, und der Kerl mußte bei seiner Größe wirklich verdammt viel Blut haben.
"Alleine hier?" wiederholte sie fröhlich. "Im Moment schon, also laß uns schnell machen, ehe mein Bruder wiederkommt!"
"Whoa! Du bist ja eine ganz heiße... Äh, was?!"
Lilith Hand schoß vor und schloß sich um seine Kehle, während ihre Augen pink zu glühen begannen und mit ihrem Gesicht die grauenhafte Verwandlung in ihre dunkle Jagdform vorging. Ihre Fangzähne, viel länger als die von Caleb und in beiden Kiefern sitzend, schoben sich vor wie die einer Kobra. Gleichzeitig sprangen ihr vampirischer Charme und ihre Hypnose an, so daß ihr Opfer in eine wehrlose Trance sank. "Glaub nicht, daß ich das wegen Sparkle tue, aber bei Dreck wie dir meckert mein Bruder wenigstens nicht herum, wenn ich mich mal so richtig satt trinke."
"Waaah! Der Koboldkönig Vampir!" brüllte jemand in der Seitenstraße, und ein zweiter Mann kam panisch herausgerannt. "Laß uns abhauen, Larry!" Als der Flüchtende die Bredouille sah, in der sein Kumpel steckte, und auch den Auslöser dafür, brüllte er noch lauter. "Was'n das für ein Monster?! Scheiße, ich bin weg!" Hals über Kopf rannte der Kerl weiter.
"Aw, tut mir leid für dich, Larry. Ein toller Freund ist das", meinte Lilith tonlos. Caleb tauchte wieder auf, die Augen noch leicht glühend. Er knurrte: "Er wollte der Frau die Handtasche wegnehmen. Ich hab sie in die andere Richtung geschickt, aber ich denke, sie wird die Polizei rufen. Also beeil dich."
"Oh, keine Einwände, Bruderherz?" fragte Lilith mit einem Grinsen. 'Genau wie erhofft!'
"Nein. Den anderen soll ich dir aber nicht zurückholen, oder?"
"Ne, laß mal. Der stank nach gleich mehreren Krankheiten. Der hier riecht zwar auch etwas kränklich, aber ich denke es ist nichts in seinem Blut."
"Vermutlich ein breites Spektrum von Geschlechtskrankheiten", murmelte der Vampir, welcher den Geruch ebenfalls witterte, aber stoisch die Straße hinab sah.
"Na, da will ich ihn ja nicht beißen. Wie sagt man so schön? Probieren geht über studieren, und in diesem Fall stimmt es ausnahmsweise!" Sie packte den Menschen energisch und schlug ihm die Zähne in den Hals, während Caleb Schmiere stand.
Auch wenn der Mistkerl, der bereits Jade so zugesetzt hatte, alles verdiente, was er nun bekam, und noch mehr, gefiel Caleb die Situation überhaupt nicht. Er haßte es, seiner Schwester beim Trinken zuzuhören, und hinzusehen kam heute überhaupt nicht in Frage, wo er selbst sich das Trinken verkniff. "Ist in Ordnung, sein Blut ist sauber", hörte er sie nach dem ersten Test-Schluck murmeln und gab nur einen undefinierbaren Laut zurück.
In Momenten wie diesen, in denen ihm vor Augen geführt wurde, was sie wirklich waren, fühlte er sich so besiegt. Alles, was er tat, seine Versuche Freunde zu haben, seine "humane" Art zu trinken, die Hilfsbereitschaft, die harte Arbeit, um die Sonne ertragen zu können, all die Schmerzen, die er auf sich genommen hatte, um wieder mehr wie sie zu sein, waren doch nur Makulatur. Er war nicht wie sie. Er war kein Mensch.
Aber er würde niemals aufhören, es zu versuchen ihnen so ähnlich zu sein wie möglich. Caleb schloß die Augen, doch das machte das Wimmern des Opfers und die schlürfenden Laute Liliths nur noch lauter in seinem Kopf, also ließ er es bleiben und fixierte stattdessen eine der Gitarren im Schaufenster gegenüber.
'Wenigstens bin ich kein schlimmer Fall. Wenigstens ist mein Magen nicht vertrocknet wie Liliths... Wenigstens muß ich nicht in einem Sarg schlafen wie Straud... Wenigstens verbrenne ich nicht in der Sonne... Wenigstens habe ich noch Gefühle...' ratterte er in Gedanken sein Mantra hinunter.
Mehr Wimmern. Seine Schwester kicherte boshaft.
Nur die Gitarre anschauen. Die Gitarre. Was Jade wohl gerade tat? Ob sie schon schlief? Er holte sein Handy hervor und prüfte die Zeit. Sicher schlief sie schon, in weniger als sieben Stunden mußten sie beide bei der Arbeit sein. Der junge Mann dachte darüber nach ihr eine nette SMS zu schreiben. Aber was sollte das sein?
'Hm.' Caleb betrachtete wieder das Schaufenster. Er machte ein Foto von der Gitarre, die blau war und offenbar signiert, wobei er sicherstellte, daß es keine Reflexion des Mannes oder seiner Schwester in der Scheibe gab.
'Hey Jade! Im Modeviertel gibt es einen tollen Laden für Instrumente! Wollen wir dort einmal stöbern gehen? :) :) '
Er schickte die Nachricht ab und lauschte dann erneut. In der Ferne waren Sirenen zu hören.
"Ich glaube, die Polizei wird gleich hier sein, um nach dem Handtaschendieb zu suchen. Bist du endlich soweit, Schwesterherz?"
Ein letztes Schmatzen, ein dumpfes Geräusch. "Ja, bin fertig. Der hier läuft ihnen jedenfalls nicht weg, vielleicht können sie mit ihm ja auch etwas anfangen." Lilith trat neben ihn, wischte sich das Blut von den Lippen und grinste ihn zufrieden an. "Du mußt mir noch erklären, wieso du der Koboldkönig bist." - "Ach, die Geschichte ist leider sehr kurz, dieses Detail war mir lediglich entfallen. Aber ich werde es zu Hause gerne nachholen." - "Na, dann los! War ein super Abend, aber mich verlangt es jetzt nach meiner Zahnbürste! Und es ist uns beiden klar, daß es nur einen wirklichen Koboldkönig gibt, nicht wahr?" - "Fantasyfilme schaust du inzwischen auch schon?"
Die beiden verschwanden in ihren Rauchgestalten und machten sich auf den Heimweg.
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