Die Geschichte der Oper war dramatisch, traurig und romantisch zugleich, und Jade war wie gebannt, klebte förmlich an den Lippen der Darsteller und ließ sich vom Orchester berauschen. Es war einfach umwerfend, dieses Spektakel live zu erleben und den Nachhall der Instrumente in den Knochen zu spüren. Manchmal riß es sie fast vom Sitz vor Begeisterung. Und das alles an diesem wunderschönen Ort, mit ihrem liebsten Mensch auf der Erde zusammen!

Caleb hingegen mochte die Oper zwar, hatte sie jedoch bereits zweimal in größeren Opernhäusern als diesem genießen dürfen. Daher ertappte er sich heute trotz der beeindruckenden Kulissen und ebenso engagierter wie talentierter Sänger mehrfach dabei seine Begleiterin interessanter zu finden als das Programm. Dank dem spröden und klassischen Anlaß war es ihm nicht so schwer gefallen keine anzüglichen Bemerkungen zu machen und Jade nicht übermäßig zu berühren, doch angesichts ihres Aufzugs konnte er sich kaum an ihr satt sehen. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, fühlte er deutlich ein warmes Glühen tief in seiner Brust bei ihrem Anblick, nicht nur einen vagen Schimmer. Jade war immer eine schöne Frau gewesen. Heute jedoch war sie eine atemberaubende Frau. Allein all die Emotionen, die von Mütze und Brille befreit beim Erleben der tragischen Liebesgeschichte über ihr Gesicht huschten, ließen ihn ohne Unterlaß lächeln.

'Das muß daran liegen, daß alle Welt mir einreden möchte, es gäbe eine romantische Verbindung zwischen uns.' Beryl, Summer, selbst seine Schwester, welche die Lage aus der Ferne überhaupt nicht beurteilen konnte... alle schienen der Meinung zu sein, es gäbe unausgesprochene Gefühle oder zumindest Sehnsüchte zwischen Jade und ihm. 'Wenn man es oft genug hört fängt man wohl an es selbst zu glauben.' Ab und an hatte Caleb nämlich den Eindruck tatsächlich etwas in Jades Blick zu sehen, aber solche Impressionen ließen sich leicht durch Einbildungskraft verzerren, daher tat er das Gefühl als Unfug oder bestenfalls Projektion seinerseits ab.
Gleichzeitig jedoch stahl sich gerade heute mehrmals der Gedanke in sein Hirn, daß Jade im Gegensatz zu Beryl Erfolg haben könnte, wenn sie versuchen würde ihn zu verführen. Die Vorstellung war selbstredend hanebüchener Unsinn, aber sehr anregend. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart unsagbar wohl, und sie war wirklich bezaubernd in ihrem Galakleid. Für ihre Verhältnisse war das schimmernde Pink ihrer Lippen eine gewagt kräftige Farbe, die zum Küssen einlud, und ihre Augen leuchteten in einem dunklen Rahmen aus Eyeliner und Wimperntusche, gekrönt von einem Hauch von Rosa und Gold auf den Lidern. Das Glänzen der Kette wiederum betonte ihr tiefes Dekolletee, welches durch ihr ungewohnt figurbetonendes Kleid noch verstärkt wurde. Sie sah heute viel erwachsener und damenhafter aus als in ihrem Schlabberpulli oder auch ihrem Partykleid mit der mädchenhaften Schleife. Eine wahre Augenweide. Noch perfekter hätte es nur sein können, wenn sie das Haar hochgesteckt tragen würde. Mit einem solchen Juwel könnte er sich schon vorstellen nach all der Zeit wieder mit einer Frau etwas intimer zu werden als mit seinen 'Blutspenderinnen'...

"Oh nein! Senta liebt dich doch, wie kannst du so etwas von ihr denken, Hollsimmer!" kommentierte Jade das Geschehen auf der Bühne entsetzt, kiekste hell auf und schlug rasch die behandschuhten Hände vor den Mund. Caleb grinste und schüttelte den Kopf über sich selbst. Was für dumme Gedanken das waren! Seine Begleiterin war einfach nur süß und unschuldig, wie immer, und vermutlich ging gerade davon ihr besonderer Reiz aus. Beryl war völlig auf dem Holzweg mit ihren Andeutungen, und er fühlte sich einen kurzen Moment lang angewidert von sich selbst, denn er hatte sich dabei ertappt daran zu denken seinen Vampircharme einzusetzen, um sich einen heißen Kuß oder zwei zu ergaunern. 'Nie und nimmer nicht! Nicht bei ihr, und nicht so.'

Interessierten Damen einige Nettigkeiten und eine falsche Erinnerung im Austausch gegen ihr Blut zu geben war eine Sache, aber eine unwillige Frau, noch dazu seine liebste Freundin, dazu zu nötigen in seine Arme zu sinken - niemals.
Bestimmt hatte Beryls gestriges unmögliches Verhalten und ihr Geschwätz über Bedürfnisse und Libido noch Spuren in seinem Unterbewußtsein hinterlassen. Er bemühte sich, seine Gedanken aus einer Gosse zu holen, in der sie sich seit über hundert Jahren nicht herumgetrieben hatten, und konzentrierte sich auf das Stück, um später wenigstens rudimentär bezüglich der Qualität mitreden zu können.

In der Pause sprach Jade wie erwartet ohne Unterlaß über ihre Eindrücke und tauschte sich begeistert mit ihm aus. Dabei vergaß sie selbst das Umarmungsverbot und hielt sich immer wieder unbewußt an seinem Unterarm fest, wenn die Erinnerung an besonders spannende Momente sie mitzureißen begann. Caleb genoß ihren Redeschwall in vollen Zügen und wartete vergeblich auf eine erneute Chance ihre Karriere anzusprechen, bis das Licht wieder erlosch und der zweite Akt begann.

Als Senta sich schließlich auf der Bühne von der Klippe stürzte und ihren geliebten Hollsimmer durch ihre Treue und ihren Tod erlöste, begann die Schwarzhaarige vor Aufregung und Rührung zu weinen. Sie klatschte stehend, selbst dann noch als das Licht anging und die ersten Besucher aufstanden, um zu gehen. "Bravo! Bravo!" rief sie immer wieder und bekam sich kaum wieder unter Kontrolle.

Schließlich wühlte sie in ihrer Handtasche verzweifelt nach einem noch nicht völlig durchweichten Taschentuch, und der Vampir reichte ihr lächelnd ein zusätzliches, das er vorsorglich eingesteckt hatte. Es war rührend, wie sehr sie mit den Figuren mitfühlte.
Schniefend sah sie auf den strahlend weißen und mit Spitze versehenen Stoff. "Danke, aber das kann ich nicht annehmen. Ich würde lauter Make-up Flecken reinmachen." - "Schon gut, du kannst es behalten." - "Danke!" Nun war sie noch gerührter, und die Tränen flossen reichlich.

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