Auch die nächste Arbeitswoche war wie die Hölle auf Erden. Nervige Kollegen, ständiger Lärm, stapelweise Post, die verteilt werden wollte, zum Frühstück hatte sie verbrannten Toast mit einem zu weichen Spiegelei gehabt, und zum Mittagessen reichte ihr Geld nur für einen Hotdog. Und dann hatte ihr Sally, diese Quasselstrippe, auch noch einen Bären aufbinden wollen und ihr erzählt, ihr Nachbar sei in der Nacht zuvor von einem Vampir angefallen worden! So einen Unsinn mochte sich Jade kaum anhören! Wenn ihre Kollegen die Neue auf den Arm nehmen wollten könnten sie sich wenigstens etwas glaubhaftes einfallen lassen. Eine so offensichtliche Lüge gab nicht nur ihre Absicht preis, sondern sie beleidigte auch Jades Intelligenz. Es fiel ihr schwer, sich nichts anmerken zu lassen und stur ihren Postwagen weiter durch die Gänge zu schieben.
Als sie abends nach Hause kam hatte sie zwar wieder einmal eine Lohntüte in der Tasche - in SimCity wurde am Ende jedes Arbeitstags der Lohn gezahlt - aber sie war auch nervlich angespannt und fühlte sich, als würde ihr Rücken sie umbringen wollen.
Jade tauschte kurz im Schlafzimmer ihre ätzende Arbeitskleidung gegen ihren geliebten Schlabberpulli, doch es stand ihr einfach nicht der Sinn danach schon im Haus zu bleiben. Sie war nicht sehr hungrig, also konnte das nächste Küchendesaster noch etwas warten.
Nach kurzem Nachdenken entschloß sie sich dazu, die Nachbarschaft ein wenig zu erkunden. Vielleicht würde sie etwas interessantes finden, das sie davon ablenken könnte, daß sicher auch ihr Abendbrot mit einer Menge Röstaromen würde aufwarten können.
In welche Richtung sollte sie gehen?
Kurzentschlossen entschied sie sich für das Ende der Straße, denn in die andere Richtung kam erst ein großes, unbebautes Grundstück neben ihrem Haus und dann eine belebte Kreuzung. Sie ging die Straße hinunter, nahm im Gehen die Mütze ab, um kurz ihre Frisur zu richten - und fühlte plötzlich, wie ihr eine Windböe die Kappe aus den Händen riß! Sie flog einige Meter weit und wurde dann tanzend den Bürgersteig entlang getrieben auf eine Wiese hinaus. "Ui! Hiergeblieben!" rief sie und rannte ihrer Kopfbedeckung hinterher.
Es war nicht schwer, sie wieder einzuholen, aber als Jade keuchend stehenblieb, um den Staub von ihrer Mütze zu klopfen, stockte ihr der Atem. Wo war sie denn hier gelandet?
Sie stand hinter dem Haus am Kopfende der Sackgasse, mitten auf einer kleinen Wiese, durch deren saftiges Gras ein Trampelpfad führte, welcher wohl von Joggern benutzt wurde. Vor ihr lag der Fluß, der an dieser Stelle eine Biegung machte. Um sie herum standen zierliche, bunte Blumen in voller Blüte. Sie bildeten dicke Sträuße purer Lebenskraft und erfüllten die Luft mit einem zarten Duft. Das beeindruckendste jedoch war der Baum. Es gab hier mehrere Bäume, doch dieser bildete das Zentrum, berührte die Baumkronen um sich herum mit seinem dichten Blätterdach wie ein liebevoller Vater. Sein Stamm war so gewaltig, daß selbst zwei Erwachsene Probleme gehabt hätten ihn gemeinsam mit den Armen zu umspannen, und er war bewachsen mit unzähligen Pilzen und Farnen selbst bis in die höchsten Äste hinauf. Alles an diesem Baum war leuchtend und ungewöhnlich. Solche Pflanzen hatte sie noch nie gesehen.
"Wooooow!" staunte Jade, die sich winzig klein fühlte in der majestätischen Aura, welche sich hier auftat. "Das ist ja wie im schönsten Märchenbuch!" Sie fragte sich, wie ein solcher Platz inmitten all dieser Häuser bloß existieren konnte. Es war herrlich hier. Gebannt sah die junge Frau ins Blattwerk hinauf und verlor sich in den tanzenden Sonnenstrahlen, die bereits langsam müder wurden, weil Mutter Sonne ihren Weg über den Himmel bald beendet haben würde. Blaue, zarte Schmetterlinge tanzten um den Baum herum und flatterten von Blüte zu Blüte.
Mühsam riß Jade sich von diesem magischen Ort los. Wenn sie noch mehr sehen wollte mußte sie nun gehen, aber sie nahm sich fest vor an einem freien Tag zurückzukommen und sich den Feenbaum, wie sie ihn spontan taufte, erneut anzusehen.
Sie kam am Ende der Sackgasse an und entdeckte einen breiten Grünstreifen, der parallel zur Straße hinter der ersten Reihe von Nachbarhäusern auf der anderen Straßenseite verlief und offenbar als Weg genutzt wurde. Um etwas neues zu sehen entschied sie sich, dem Bürgersteig auszuweichen und dort entlang zurück zu laufen.
Schon nach einigen Schritten traf sie auf einen großen, morschen Ast, in dem es leise quakte. "Ist da echt ein Frosch drin?" fragte Jade sich neugierig, langte beherzt durch ein Astloch und tastete im Dunkeln herum, bis sie etwas glitschiges unter ihren Fingern fand. Tatsächlich holte sie mit einem wohligen Schauer einen Frosch hervor, und zwar einen ziemlich kuriosen! Der Frosch war blau und hatte violette Füße und ebensolche Streifen. "Iiiih! Whoa! Ob du giftig bist?" fragte Jade ihn erschrocken. Der Frosch sah sie nur treudoof an, blies die Backen auf und blieb auf ihrer Handfläche sitzen. "Nein, du bist bestimmt nicht giftig. Eigentlich bist du sogar ganz niedlich."
Kurzentschlossen steckte sie ihn in ein Glas, das neben einer Mülltonne auf dem Boden stand, und entschloß sich, ihn mit nach Hause zu nehmen. Auf dem Speicher hatte sie auch ein altes Aquarium gesehen. Das würde doch sicher als Terrarium herhalten können.
Der Pfad führte sie an den unterschiedlichsten Nachbarhäusern vorbei, einige nur von hüfthohen Mauern umgeben oder gar nicht eingezäunt, andere hinter Sichtschutzzäunen verborgen. Das Haus von Summer Holiday und ihrer WG hatte ein wirklich riesiges Grundstück, wie sie feststellte. Plötzlich jedoch fand Jade sich überraschend erneut auf einem kleinen Platz wieder. Dieser war teils von einer niedrigen Ziegelsteinmauer und teils von einem niedrigen, schlichten Lattenzaun umgeben, der in zwei Richtungen Öffnungen hatte. In die Ecken dieses Platzes schmiegten sich einige Büsche und bunte Wildblumen. In der Mitte jedoch befanden sich mehrere Pflanzkisten mit Nutzpflanzen und einem Apfelbaum.
Jade erschrak. "Weia! Ist das doch eine Sackgasse? Bin ich hier auf einem Privatgrundstück gelandet?"
"Nein, Miss", sagte eine Stimme vom anderen Ende des Platzes her. Jade erschrak noch mehr. Sie hatte den älteren Mann in Gärtnerkleidung nicht bemerkt, der hinter der gegenüberliegenden Zaunecke mehrere Werkzeuge in eine Schubkarre lud und offenbar gerade Feierabend machen wollte.
"Äh, wie meinen?" Die plötzliche Begegnung war ihr unangenehm.
"Das ist kein Privatgrundstück, sondern ein öffentliches. Seien Sie also unbesorgt, niemand läßt den Hund auf Sie los."
"Aber das ist doch Obst und Gemüse?"
"Ja, das ist richtig!" stimmte der Mann fröhlich zu. "Sind Sie neu hier?"
"Ähm... ja? Gerade erst hergezogen." Sie fragte sich, was das mit der Sache zu tun haben sollte.
"Ich bin von den städtischen Gärtnereibetrieben. Die Stadt legt in fast allen Stadtteilen öffentliche Parks wie diesen hier an. Wir kümmern uns darum, und jeder darf hier ernten oder auch arbeiten, wie er möchte."
"Das ist ja praktisch..." machte Jade lahm.
"Das dachte sich die Stadt auch. Es sieht schön aus und ist bei den Leuten beliebter als reine Blumenbeete. Also, greifen Sie ruhig zu, Miss, solange Sie nichts mutwillig kaputt machen!" Der alte Mann lüftete seinen Strohhut zum Gruß und verschwand mit seiner Schubkarre um die Ecke.
"Danke!" Das ließ Jade sich nicht zweimal sagen. Hier wuchs genug, um ihre Salate für die nächsten Tage aufzubessern, ohne die Haushaltskasse zu belasten! Sie pflückte einige Äpfel vom Baum und bediente sich an den Tomaten- und Karottenpflanzen, nahm aber nur so viel, daß sie die Früchte im unteren Teil ihres Pullis transportieren konnte. Am Rand des Platzes fand sie sogar einige lecker aussehende Champignons, die sie heute erst einmal stehenließ. Sie nahm sich aber fest vor, beim nächsten Mal eine Tasche und ein Messer mitzubringen.
Nachdem sie das Gemüse gewaschen und im Kühlschrank verstaut hatte richtete sie das alte Aquarium für ihren Frosch her. Einerseits fragte sie sich, was sie sich dabei gedacht hatte den Frosch mitzunehmen, andererseits war sie tatsächlich froh, ein Haustier zu haben, selbst wenn es ein so ekeliges war. Nachdem Froschi mit einem Zweig, etwas Erde und Wasser und einigen dicken Fliegen, die gar nicht so einfach zu fangen gewesen waren, versorgt war, hüpfte Jade unter die Dusche und ließ den Tag mit einem weiteren Salat und einer Kochshow ausklingen. Sie war sich nicht sicher, ob es an den frischen Karotten lag, aber der Salat kam ihr heute schon erträglicher vor.
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