"Was ist das?!" machte Caleb fasziniert, als sie vor dem Stamm des massiven, knorrigen Baums standen, der auch heute von bunten Pilzen, Moos und Farnen bewachsen und umringt war, und in sein Blätterdach hinaufschauten. Blaue Schmetterlinge flatterten geschäftig umher und Bienen summten von einer farbenprächtigen Blume zur nächsten.
Jade strahlte ihn triumphierend an. "Hab ich's nicht gesagt? Er ist fantastisch, nicht wahr? Ich habe ihn Feenbaum genannt, denn ich wette, in ihm leben kleine Leute!"
"Ich kann nicht einmal sagen, welche Baumart das ist! Was macht ein solch imponierendes Gewächs hier?"
"Spannend, nicht wahr?" Durch seine Frage inspiriert holte sie ihr Handy hervor und suchte kurz im Internet. "Unter der Adresse kann ich nichts finden, und auch nicht unter dem Suchbegriff 'besonderer Baum in Willow Creek'. Dabei benutzen so viele Leute den Trampelpfad zum Joggen, daß der Baum total bekannt sein müßte. Ich selbst jogge auch hier entlang, seit ich den Baum zum ersten Mal gesehen habe."
"Ich kann sehr gut verstehen, warum du diesen Platz so magst."
"Ach ja?"
"Natürlich! Er ist genauso wie du: lebendig, fröhlich, mysteriös und ein kleines bißchen einsam, weil er anders ist als die anderen." Als Caleb die einzelnen Punkte aufzählte konnte Jade nicht umhin zu denken, daß genau das gleiche auch für ihn galt. Doch sie lächelte nur still in sich hinein und genoß das Bild, das ihr liebster Freund unter diesem Baum abgab. Irgendwie waren Baum und Mann in diesem Moment gleichermaßen übernatürlich, als kämen sie aus derselben fremden Welt. "Na, dann ist es ja kein Wunder, daß der Feenbaum und ich uns stets so gut unterhalten!"
Ihr Begleiter sah sie überrascht an. "Du sprichst mit dem Baum?"
"Ja, ab und zu. Manchmal sammle ich hier Mineralien oder pflücke Blumen, und wie gesagt, ich jogge hier. Da bleibt oft Zeit für ein kleines Kompliment."
"Ich sagte, du sollst mit einem Spiegel an deinem Charisma feilen, aber doch nicht mit Bäumen." Zwar lachte er, aber er schien sich schon zu fragen, was andere Leute von einer Frau halten mochten, die mit einem Baum sprach.
Jade erwiderte sein Lachen, doch ihres war echt. "Bist du jetzt eifersüchtig auf einen Baum, nur weil ich ihm ab und an sage wie schön seine Blätter rascheln oder daß seine Wurzeln toll sind?"
"Jade Sparkle, die Spinnerin!"
"Ich habe ihn auch schon mal gegossen, und ich schwöre dir, daß er zuhört."
"Der Baum oder die Feen, die deiner Meinung nach in ihm wohnen?"
"Beide Gruppen sind gleich neugierig und tauschen sich aus, ist doch wohl klar!"
Sie kicherten, und Caleb wandte sich kopfschüttelnd an den Baum. "Du Glückspilz, bekommst von Jade Sparkle einen Drink ausgegeben! Wage es bloß nicht sie mit einem Rosenbusch zu hintergehen."
Hätten sie nicht vor wenigen Minuten erst ein Gespräch über Grenzen gehabt hätte sie ihm nun angeboten, ihm auch einen Drink auszugeben, aber die Schwarzhaarige biß sich auf die Lippe, um nichts falsches zu sagen, und grinste nur verlegen. Das war nun unerreichbar für sie.
Ihr Zögern fiel dem Vampir durchaus auf, und er konnte sich auch den Grund denken. Innerlich seufzte er. Da ließ er sich schon dazu herab, ebenfalls in der Öffentlichkeit mit einem Baum zu sprechen, und er hatte seine Freundin so sehr verunsichert, daß sie wieder nur still wurde, obwohl das Gespräch nun wirklich kein ernsthaftes Thema betraf. Er ärgerte sich darüber Beryl überhaupt angesprochen zu haben, wenn es so einfach war Jades erblühendes Selbstbewußtsein um Wochen in der Entfaltung zurückzuwerfen.
Auf einmal fragte sie: "Glaubst du an Elfen und Feen?"
Sein erster Reflex war es zu sagen, daß er das natürlich nicht tat, doch er hielt inne. Es gab Vampire, er war der beste Beweis dafür. Wieso sollte es nicht auch andere übernatürliche Wesen geben, die noch seltener oder zurückgezogener waren als seine Spezies? "Über ihre Existenz habe ich nie nachgedacht, doch verwundert wäre ich nicht, wenn es sie gäbe. Und du?"
"An Feen glaube ich, an Elfen nicht."
"Wieso eine so spezifische Abgrenzung?"
"Na, Feen sind so klein. Die können sich vor uns verstecken. Aber Elfen? Menschen mit spitzen Ohren wären doch längst entdeckt worden, meinst du nicht?"
Caleb dachte daran, daß auch viele Vampire solche Ohren hatten. Wenn sein Volk eine dunkle Jagdform mit spitzen Ohren hatte, warum sollten Elfen nicht einen gegenteiligen Zauber haben und sich als Menschen tarnen? Wie gerne hätte er diese Theorie mit ihr diskutiert. Vielleicht konnte er seine Ausführungen neutral gestalten. "Die Elfen könnten sich tarnen. Langes Haar, Hüte, vielleicht sogar Zauber zur Änderung ihrer Gestalt, ähnlich wie die Vampire. Eventuell haben sie ja gar keine spitzen Ohren und es wurde nur als Gerücht in der Kunstwelt ausgestreut, um sich und ihre Magie noch besser verstecken zu können." Ein Grinsen breitete sich über sein Gesicht. "Ah, ich verstehe! Du bist selbst eine Elfe und willst mich testen!"
"Ich, eine Elfe?" Jade begann zu lachen.
"Du hast voluminöses, langes Haar und eine Mütze, das sind gleich zwei verdächtige Punkte! Außerdem ist dein Lachen magisch", beharrte er, woraufhin sie noch fester lachte und sich den Bauch hielt.
"Wenn ich eine Elfe bin bist du ein Vampir!" rief sie.
"Meinst du?" fragte er und horchte auf.
"Sicher! Adlige Blässe, Sonnenallergie, ißt nie etwas, ein Outfit aus dem Goth-Katalog und spitze Eckzähne - wenn das nicht genug Beweise sind weiß ich's auch nicht!" Da sie sich bei diesen Worten Lachtränen aus den Augen wischte meinte sie es wohl nicht ernst, aber er war sich nicht sicher. Daher antwortete er schlicht: "Du hast recht, ich bin ein Vampir."
Zu seinem Leidwesen führte sein Geständnis nur zu noch mehr Gekicher auf ihrer Seite. Caleb seufzte und wollte wissen: "Wieso glaubst du an Feen, aber nicht an Vampire?"
"Schön, von nun an sind wir die Elfe und der Vampir!" beschloß die junge Frau völlig außer Atem. Das mußte einfach eine Scharade von ihm und Beryl sein!
Er sah sie lachen und gab es für den Moment auf.
Jade bemerkte seinen traurigen Blick und versuchte mit dem Kichern aufzuhören, doch es war schwer. Hatte sie ihm den Streich verdorben oder jetzt doch etwas gesagt, das ihn kränkte? Wurde er ungern an seine Zähne erinnert? "He, ist alles okay?"
"Sicher", versicherte er sofort und gab sich augenblicklich wieder völlig normal.
Sie suchte in seiner Miene nach einem Hinweis, was sie falsches gesagt hatte. Als sie nichts fand umarmte sie ihn, was er herzlich erwiderte. Fast sofort wurde ihr klar, was für eine schlechte Idee das gewesen war. Es tat so weh, ihm so nahe zu sein, aber doch nicht richtig, daß sie ihn extra fest drückte. "Ich hab dich so lieb", flüsterte sie.
"Ich dich auch, beste Freundin!" kam es munter zurück. Erst jetzt bemerkte sie, daß sie es laut gesagt hatte, und sie trat schnell zurück.
"Ich... ähm..." Ihre Wangen glühten und sie versuchte sich aus der Peinlichkeit herauszuwinden. "Wir wollten noch den städtischen Gemüsegarten ansehen, nicht wahr? Der ist gleich dort vorne, direkt hinter dem Haus von Summer Holiday und ihrer WG!" Jade marschierte los und hoffte, daß ihr Gesicht schnell wieder eine normalere Farbe annehmen würde. Wie hatte ihr das bloß passieren können!?
Caleb sah ihr einen Moment hinterher, hin- und hergerissen zwischen mehreren Gefühlen. Wie war es möglich, daß sie weiterhin nicht die richtigen Schlüsse zog, wo ihr doch so viele Details aufgefallen waren? Gut, es ihr gegenüber in einem lustigen Kontext auszusprechen war sicher nicht die vielversprechendste Methode gewesen, aber wenigstens hatte es sich organisch ergeben und war kein aufgesetztes Geständnis. Daß sie seinen Vampirismus direkt als Scherz abtat ohne nachzuhaken hatte ihn allerdings überrascht. Spielte sie ihm etwas vor? Wußte sie inzwischen sehr genau, was er war, und hatte deshalb über den Knoblauchkranz von Beryl geschimpft? Noch dazu war sie völlig durch den Wind wegen des Gesprächs über Beryl und seine persönlichen Grenzen. Obwohl sie heute sehr emotional zu sein schien war sie nun gar nicht mehr so charmant wie neulich, statt dessen zurückhaltend und verschämt. Hoffentlich war das alles nur eine Folge ihrer Erschöpfung nach der Krankheit und gab sich wieder, wenn er einige Tage abwartete.
Er folgte ihr in den Garten, der eher ärmlich war im Vergleich zur Majestät des Feenbaums, und plauderte dort noch ein wenig mit Jade über Gartenbau, wobei sie den städtischen Gärtner trafen, den Jade zu seinem Erstaunen freundlich grüßte und ihm als Herrn Löhrer vorstellte. Offensichtlich hatte sie es im Lauf der Zeit geschafft, sich auch mit diesem Herrn ein wenig anzufreunden. Der Alte wechselte einige Worte mit ihnen, mußte aber bald weiter. Auch Caleb verabschiedete sich, damit seine Freundin sich noch ein wenig ausruhen konnte von den Nachwirkungen ihrer Erkältung.
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