"Also, das ist doch...!" schimpfte Jade ungläubig, woraufhin ihr Gegenüber sie nur sanft am Arm packte und vom Gehweg auf den roten Sandstreifen unter einen Baum zog. Von dort aus beantwortete die resolute Frau die giftigen Blicke der Passanten mit einem festen, eisigen Blick, woraufhin alle weiterzogen.
"Laß die Deppen, manche meinen ihre Meinung sei einfach überall gefragt. Hier sind wir erst einmal unter uns." Ihr Gast schaute dem Trupp wütend hinterher und machte offenbar Atemübungen. Ihre Händen öffneten und schlossen sich unruhig. Langsam verstand Beryl, was Caleb meinte, wenn er von ihrer Sozialphobie sprach, aber sie fand sie weiterhin nicht sehr ausgeprägt. Die Situation mit den Touristen hätte jeden auf die Palme bringen können, und hätte eine der Fremden den Mund noch einmal aufgemacht hätte sie denen selbst mal gezeigt wo der Hammer hing.
Sie nahm das Gespräch wieder auf. "Ehe wir über Musik sprachen redeten wir über Caleb, nicht wahr? Also, läuft inzwischen was bei euch?"
"Echt jetzt? Geht das schon wieder los?" fragte Jade, deutlich genervt. Sie starrte ins Nirgendwo und schien zu überlegen, ob sie gehen sollte.
Beryl setzte ein aufmunterndes Lächeln auf. "Ich weiß, manchen Leuten bin ich zu direkt, aber ich habe jetzt wochenlang an dem Sahneschnittchen herumgesägt und bin immer nur abgeblitzt. Kannst du es mir da verübeln, daß es mich interessiert, ob du mehr Erfolg hast?"
"Sahne... Was?!" Ihr Gegenüber sah aus als würde sie jeden Moment ohnmächtig. Die Rothaarige lehnte sich näher zu ihr hin. "Wenn du jetzt so tust als ob dir noch nie aufgefallen wäre, daß er attraktiv ist, zweifle ich an deiner Ehrlichkeit."
"Sicher ist mir das aufgefallen, aber ich würde ihn nie so nennen... Nein, so ein Gespräch kann ich nicht führen!"
"Herrje, du bist keine Gespräche unter Mädels gewohnt?"
"Offenbar nicht!" rief die Schwarzhaarige in einem Tonfall, der deutlich machte, daß sie sich nicht sicher schien damit etwas verpaßt zu haben. "Vielleicht sollte ich besser gehen."
Die Rothaarige warf die Arme in die Luft. "Ach nein, bitte bleib doch noch! Wir haben so viel gemeinsam! Ich bin auch ganz brav, versprochen!"
Jade grinste schief. "Ich weiß nicht..."
"Wir mögen beide Musik, sind beide recht neu in der Stadt, haben den gleichen verschrobenen Kumpel und können Liberty Lee nicht leiden! Das macht uns quasi zu Blutsschwestern! Wenn du magst können wir zu mir gehen und mit einem kalten Orangensaft darauf anstoßen."
"Danke, aber ich finde es hier im Schatten eigentlich gerade ganz nett."
"Na schön. Reden wir einfach über etwas anderes als Männer. Du kennst also auch Summer Holiday? Sie ist inzwischen eine Kollegin von mir, aber sie war auch im Begrüßungskomitee, das an meinem Einzugstag bei mir auftauchte."
"In deinem auch? Bei mir stand sie auch vor der Tür, gleich als ich fertig war mit dem Einzug."
"Die gute Summer ist wirklich immer obenauf, wenn in der Nachbarschaft etwas passiert, huh?"
Die beiden Frauen begannen miteinander zu plaudern, über ihre Nachbarn, die Arbeit, Stadtfeste, Filme, ihre Lieblingsbands und wie sehr sie Liberty Lee nicht mochten. Beryl verstand es geschickt immer neue Themen zu finden, und nachdem Jade sich an sie gewöhnt hatte wartete sie mit unzähligen lustigen Anekdoten aus ihrem Musikhobby auf, um dann wiederum mit großen Augen Beryls Ausführungen zu lauschen.
Beryl verstand inzwischen, wieso Caleb mit ihr befreundet war. Sobald man ihre Blockade durchbrochen hatte konnte man endlos mit Jade scherzen, und obwohl sie anfangs vorgehabt hatte die Konkurrenz ein wenig einzuschüchtern konnte sie doch nicht umhin, sie ganz nett zu finden. Ihr Gegenüber war so lustig wie Liberty, aber viel ehrlicher in ihrem Verhalten, und sie kannte sich mit Bands, Büchern und sogar Rezepten aus, wodurch es keinen Mangel an Gesprächsstoff gab.
Schließlich meinte sie lachend: "Es ist schon lustig, daß Caleb uns so gerne als Freundinnen zusammenbringen will, dabei schaffen wir das auch ganz alleine."
"So, will er das?" fragte Jade mit hochgezogenen Brauen.
"Er meint wohl, wir würden uns gut verstehen."
"Hm. Da könnte er wohl recht haben, wie?" Die Schwarzhaarige grinste, und Beryl stemmte lachend die Arme in die Hüften. "Ja, er ist schon ein schlaues Kerlchen, unser Caleb."
"Er ist super nett."
"Das ist er. Und immer voller Energie. Weißt du was, ich fände es trotzdem lustig mir anzuhören, wie er uns als Freunde verkuppeln will."
"Du willst ihm nicht sagen, daß wir uns kennen?"
"Es tut doch keinem weh ein wenig abzuwarten und das eine oder andere Telefonat unter Mädels zu führen, oder? Er muß ja nicht immer alles wissen."
Jade kicherte. "Das stimmt. Okay. Es ist ja nicht so, daß es ihn direkt etwas angeht, im Gegensatz zu der Sache mit seiner Schwester zum Beispiel."
"Potzblitz! Du hast seine ominöse Schwester tatsächlich getroffen? Ich hab mich so manches Mal schon gefragt, ob es sie wirklich gibt oder ob das nur eine Ausrede von ihm ist, wenn er sich eigentlich mit irgendwelchen anderen Ladies trifft - damit wir nicht eifersüchtig werden!"
"Oh doch, die Schwester gibt es!"
"Erzähl schon! Wie ist sie so?"
"Sie ist super hübsch, hat aber keinerlei Ähnlichkeit mit ihm. Deshalb hab ich sie auch nicht erkannt. Aber sei bloß froh, wenn du ihr nicht begegnest! Lilith war ziemlich ruppig zu mir, so etwas hab ich noch nie erlebt! " Die Schwarzhaarige setzte einen Blick auf, der dem Mumienfürst alle Ehre gemacht hätte, und Beryl lachte sich fast tot. "Ich bin gespannt! Vielleicht treffe ich sie ja auch einmal."
"Wenn ihr jemand Paroli bieten kann, dann sicher du!"
"Jetzt muß ich mich aber wirklich langsam ums Mittagessen kümmern, ich muß bald bei der Arbeit sein. Magst du nicht doch auf einen Sprung mit zu mir kommen?"
"Oh nein, ich will dich nicht bei deinen Vorbereitungen stören! Ich muß eh langsam nach Hause. Hab den Wochenendeinkauf noch nicht gemacht."
"Na schön. Dann gib mir wenigstens noch schnell deine Handynummer, in Ordnung?"
"Ja, klar! Und du mir deine!"
Sie tauschten ihre Nummern aus und verabschiedeten sich fröhlich voneinander.
Auf dem Weg die Straße hinunter zur nächsten Bushaltestelle sah Jade sich noch einmal nach ihrer neuen Bekannten um. Sie fand Beryl sehr nett, aber sie wurde noch nicht ganz schlau aus ihr. War sie nun auch an Caleb interessiert oder nicht? Ihr Verhalten in dem Punkt war sehr verwirrend. Aber sie waren beide Musiker, und Beryl mochte sehr viele Krimis, die auch Jade gesehen oder gelesen hatte. Es wäre schön, eine Freundin zu haben, die nicht ständig über Sport und Veranstaltungen reden wollte so wie Summer, und die... nunja, kein Mann war wie Caleb. Auch wenn sie nicht über ihr nicht vorhandenes Liebesleben sprechen wollte, zumindest noch nicht, gab es trotzdem Themen und Probleme, die man besser mit einer Frau besprechen konnte. Sich ab und zu mal eine SMS zu schicken konnte nicht verkehrt sein, und wenn sich daraus eine Freundschaft entwickeln würde, umso besser. Gut gelaunt marschierte Jade schneller. Sie hatte wirklich ganz schönen Hunger, aber sie hatte Beryl nicht zur Last fallen wollen.
Beryl grinste still in sich hinein, während sie zusah, wie Jade am Horizont verschwand. Ursprünglich hatte sie die Kleine nur ein wenig ausfragen wollen, um bessere Karten bei Caleb zu haben, aber inzwischen fand sie die Frau tatsächlich interessant. Sie war wirklich eine Liberty Zweite Edition, lustig und ein wenig kindlich, aber mit mehr Verantwortungsbewußtsein und höherer Aufmerksamkeitsspanne. Wenn man erstmal wußte, wie sie zu nehmen war, konnte man sicher Spaß mit ihr haben. Vielleicht konnte Beryl sie sogar irgendwann dazu bringen mit ihr um die Häuser zu ziehen. Endlich mal mit einer Kumpanin in einer Bar abzuhängen und Kerle abzuchecken wäre schön. Auch wenn Caleb ihr seine Hilfe angeboten hatte - wer sprach schon eine heiße Rothaarige an, die mit einem ebenso heißen Kerl im Schlepptau unterwegs war? Nein, ihn mitzunehmen wäre kontraproduktiv. Aber mit Jade? Zwei Ladies waren weitaus weniger bedrohlich. "Mal sehen, was draus wird!" lachte sie und ging heim, um sich mit ihrem geplanten Mittagessen zu beschäftigen.
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