Der Vampir zermarterte sich das Hirn und starrte in sein Getränk. Er hätte sich vor dem Treffen die Worte zurechtlegen sollen. Oder er hätte ihr eine Email schreiben sollen. Nein, er wollte ihre Reaktion sehen, wenigstens die Chance haben sie zu beruhigen, wenn sie Angst bekommen sollte. Das letzte, was er wollte, war, daß sie wortlos wegzog wie John.
Jade stöhnte leise, und er sah ruckartig auf. "Was ist?"
"Ach, nichts. Wie gesagt, nur Kopfweh von einem Alptraum. Ich glaube, der Drink ist gerade keine gute Idee."
"Das muß ja ein horrend schlimmer Traum gewesen sein!"
"Das war er wohl! Er fühlte sich so echt an, daß ich versucht haben muß im Schlaf meine Haustür abzuschließen. Irgendwie bin ich dabei im Flur hingefallen und heute auf dem Boden aufgewacht. Ich muß mir den Kopf gestoßen haben... So etwas ist mir noch nie passiert, wirklich nicht!"

Calebs Augen weiteten sich. "Was war das für ein Traum?"
"Ich weiß nicht recht... Ich glaube, ich habe von einem Mann in meinem Schlafzimmer geträumt, der irgendwas mit mir gemacht hat." Sie überlegte, dann wurde sie rot und wiegelte rasch ab: "Also, nichts unanständiges! Das war kein... also, nicht so ein Traum!"
Er blinzelte nur verständnisvoll. Heute war ihm nicht danach einen Witz zu machen, schon gar nicht in diesem Moment.
Stockend berichtete sie weiter: "Es war ein alter Mann, aber gleichzeitig auch irgendwie nicht. Er hat Gesten gemacht wie ein Zauberer oder so etwas und trug einen langen, schwarzen Mantel. Er hat irgendwas getan, und ich hatte Schmerzen, und dann klingelte mein Handy, und ich wurde wach. Aber nicht richtig, denn er hat wieder etwas getan. Dann mehr Schmerzen, und es klingelte erneut! Dann lief er weg und ich hinterher, um die Tür abzuschließen... Mehr weiß ich nicht mehr, es war ein wirrer Traum."
"War denn deine Tür heute abgeschlossen?"
"Jetzt wo du's sagst..." Ihre Stirn kräuselte sich. "Nein, sie war offen. Komisch, ich bin mir sicher, sie gestern abend abgeschlossen zu haben wie immer. Ob ich sie im Schlaf aufgeschlossen habe statt zu?"

Eine eiskalte Klaue schlang sich um Calebs Herz. Das durfte nicht wahr sein. "Und seitdem bist du so schlecht zurecht?"
"Ja, aber es geht schon. Kein Wunder nach einer Nacht auf dem Boden. Das ist total peinlich."
"Ist dir schwindelig?"
"Heute morgen ein wenig, aber als ich etwas gegessen hatte ging es wieder. Mir pocht nur der Kopf und ich fühle mich etwas matt. Vielleicht bekomme ich eine Erkältung von dem unfreiwilligen Campingtrip im Flur." Sie lächelte schief, um ihn zu beruhigen.
Der Vampir mußte Gewißheit haben. "Halt bitte einmal still, Jade." Er beugte sich zu ihr vor und griff ihr vorsichtig ins Haar. "Du hast da etwas..." Unter den unzähligen Zöpfen, die ihr wie immer über die Schultern rutschten, kamen wie befürchtet Bißmale an ihrem Hals zum Vorschein. Saubere kleine Wunden, nur wenig dunkler als die sie umgebende Haut. Das Werk eines Profis. 'Nein! Straud hat sie erwischt!' Grabeskälte legte sich über seine Glieder, und das Herz wummerte ihm gegen die Rippen. 'Warum?! Nach all der Zeit, und wieso ausgerechnet jetzt?!'  Wenigstens schien die Wunde nicht tief zu sein. Jade sagte, sie hätte ihr Handy klingeln hören. War Straud gestört worden und hatte nicht so viel getrunken, wie er wollte? Das würde erklären, warum sie trotz allem relativ gut zurecht war. Sie hatte Glück. Einerseits scherte es Straud nicht, wie es seinen Opfern hinterher erging, andererseits war er dermaßen alt, daß er ein Profi im Beißen war. Die Male würden sehr bald verschwunden sein.

Jade wagte kaum zu atmen, als sie seine kühle Hand an Schulter und Ohr spürte, während er ihr fast zärtlich die Haare zurückstrich. Sie wunderte sich, was er da tat, wünschte sich jedoch gleichzeitig, daß der Moment nie enden möge. Warum waren seine Hände so kalt? Am liebsten hätte sie sie in die ihren genommen und gewärmt. In seinem Blick gewahrte sie eine tiefe Traurigkeit, die sie sich nicht erklären konnte.
"Caleb?"

Er riß sich zusammen und zog fast ruckhaft die Hand zurück. "Entschuldige! Da war nur... ein Marienkäfer in deinen Haaren. Den mußt du dir draußen eingefangen haben."
"Oh! Okay, danke." Sie lächelte ihn besorgt an. "Was ist denn nun, Caleb? Warum wolltest du mich heute so dringend sehen? Ist etwas passiert? Brauchst du Unterlagen oder sonstwie meine Hilfe?"
In seinem Kopf raste es, und um ein Haar hätte er entnervt gekichert. Schon wieder war ihm Straud zuvorgekommen und hatte es ihm unmöglich gemacht ehrlich zu seiner besten Freundin zu sein. Was hätte er jetzt sagen sollen? 'Du wurdest von einem Vampir gebissen, deshalb geht es dir so schlecht! Ach, und übrigens: Ich bin auch einer. Alles cool?'
Der Vampir fühlte sich, als würden seine Eingeweide vertrocknen. Hastig kippte er doch die Hälfte seines Drinks herunter. Jetzt brauchte er einen Vorwand, und sein Kopf war leer. Ihm blieb nur noch Charme als letzter Ausweg.

"Um ganz ehrlich zu sein habe ich wirklich und in der Tat nur meine liebste Freundin vermißt, und ich brauchte einfach eine Umarmung in all dem Chaos der letzten Tage. Tut mir leid, daß du nur für einen Drink herkommen mußtest, den du gar nicht wolltest." Seine Augen bettelten um Verzeihung, und spontan stand sie auf und drückte ihn erneut an sich. "Dann nimm noch eine Umarmung im Vorrat mit für nach der Pause." - "Ach, Jade Sparkle, du bist die beste!" Caleb erwiderte die Geste mit einem glücklichen Seufzen und stand dann auf. "Ich fürchte, so langsam muß ich zurück ins Büro, auch wenn ich viel lieber in den Zug steigen und mit dir irgendwohin fahren würde. Komm, laß uns noch ein Stück gehen." - "Gerne."
Sie nickten der Bartenderin zu, verließen das Lokal und schlenderten die Straße entlang. Caleb meinte: "Wie gedenkst du den angebrochenen Tag nun zu verbringen? Wirst du noch einkaufen, ein neues Buch vielleicht?" - "Ach, nein, ich fahre direkt wieder nach Hause. Mir ist gerade nicht nach Bummeln. Aber ich war gerne hier, denn ich vermisse es genauso, mit dir abzuhängen." - "Das ist lieb von dir. Hast du die Plakate gesehen? Morgen ist erneut das Spaßfestival. Wollen wir wieder hingehen?"
"Nein." Jade schüttelte den Kopf, was sie sofort bereute, denn eine Polkaband fing hinter ihrer Stirn an ein Lied zu spielen.
"Geht es dir zu schlecht?" Genau um das zu erfahren hatte er den Ausflug vorgeschlagen.
"Erstens mußt du dich mal ausruhen", ermahnte sie ihn streng, "und zweitens hab ich morgen schon was vor."
"Morgen habe ich ausnahmsweise frei, während die anderen Teams die physische Eröffnung vorbereiten und der oberste Vorstand die letzten Unterschriften leistet. Bis du Feierabend hast bin ich längst ausgeschlafen."
"Na schön, umso besser. Dann kannst du um 8:30 am Abend bei mir vorbeikommen." Sie grinste, woraufhin er vorsichtig anmerkte: "Wenn ich dich daheim abholen soll kommen wir nicht vor Ende des Festivals an."
"Wir gehen auch nicht zum Festival, du kommst einfach nur vorbei. Ich wollte dich eh darum bitten."
"Warum können wir nicht zum Festival gehen, wenn du augenscheinlich keine Pläne außer Haus hast?"
"Laß dich überraschen, Caleb. Ich denke, ich habe doch auch mal einen Freischein, nachdem ich heute hier war?"
Er sah sie in gespieltem Mißtrauen an. "Na schön, was auch immer du vor hast, Jade Sparkle, ich werde dich besuchen."
"Abgemacht. Bis morgen, Caleb, und vergiß nicht das Schlafen."
"Dasselbe wollte ich dir gerade sagen. Ruh dich aus, ja!"
"Klar! Und danke für den Drink!" Jade drückte kurz seine Hand, die immer noch viel zu kalt war, und verschwand in Richtung Bushaltestelle.


Das, was er gerade spürte, mußte pure Verzweiflung sein, gepaart mit Wut auf seinen Nachbarn, der ihnen beiden das antun mußte. "Warum verschwindet er nicht einfach wieder nach Simsylvanien..." War das eine himmlische Strafe? Zum ersten Mal lebten sie in einer Stadt, in der weder die Menschen zum wütenden Pöbel mutierten, noch die Vampire den Zahn der Zeit verschlafen hatten. Das untote Leben könnte so herrlich sein, aber einer mußte natürlich quer schießen. "Irgendwann muß ich Lilith berechnen lassen, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, Straud nicht nur zum Nachbarn zu bekommen, sondern ihn auch noch auf meine beste Freundin losgehen zu sehen." Jade tat ihm so unendlich leid. Sie mußte große Schmerzen haben, auch wenn Straud sein Mahl nicht hatte beenden können, und dennoch klagte sie nicht. Für ihn war klar, daß sie das testweise vorgeschlagene Festival ausgeschlagen hatte, weil es ihr nicht gut ging. Was sollte er nun tun? Gab es irgendeinen anderen Weg, außer Beryl nach einem Knoblauchkranz zu fragen? Vermutlich nicht. Nicht auszudenken, was passieren könnte, sollte Straud sie nun als leichtes Opfer erkannt haben! Statt ein Problem zu lösen hatte er neue dazubekommen.


Unverrichteter Dinge und unterirdisch schlecht gelaunt kehrte er doch noch einmal Hause zurück in der Hoffnung, die Lieferung mit Blutkonserven sei in der Zwischenzeit gekommen. Als Caleb gerade zur Tür hinein war begegnete er im Flur Lilith, die soeben ihr Sportprogramm im Eßzimmer beendet hatte und auf das Eintreten der Dunkelheit wartete, um joggen gehen zu können. "He, Bruderherz! Was ist dir denn schon wieder über die Leber gelaufen? Man sieht dich schon von draußen jammern, weißt du", scherzte sie und zog die Laufschuhe an.
Sein düsterer Blick sprach Bände. "Es ist wegen Jade."
"Ach? War Straud gestern doch noch bei ihr?"
"Du weißt davon?!" fuhr er auf.
Lilith zuckte mit den Achseln. "Wir sind uns vor ihrem Haus begegnet. Ich hab versucht ihn wegzulotsen, aber so wie du dreinschaust hat es nicht funktioniert. Tut mir leid, mehr konnte ich nicht tun für dein Menschlein."
"Du hättest mir Bescheid geben können!" schimpfte er. Ihm fehlten fast die Worte vor Zorn, die Luft ging ihm aus.
Seine Schwester hingegen setzte eine sauertöpfische Miene auf. "Du hast gesagt, ich soll dich nicht stören, und ich konnte nicht wissen, daß es dir dermaßen wichtig ist, daß ich mich über diese Anweisung hätte hinwegsetzen sollen! Was hättest du denn tun wollen, unerlaubt die Arbeit verlassen und dich mit Straud anlegen? Das wäre Selbstmord!"
"Ich hätte wenigstens versuchen können sie mit einem Anruf zu wecken und sie zu warnen!"
"Ist ja gut, beim nächsten Mal sag ich dir Bescheid."
"Beim nächsten Mal... Teufel auch." Caleb hielt sich kurz an der Kommode fest, die neben der Tür stand. "Das ist alles ein Alptraum." Ohne ein weiteres Wort marschierte er in die Küche, fand den Kühlschrank leer vor und stürmte durstig aus dem Haus zurück zur Arbeit, auch wenn er sich im Moment tausend andere Dinge vorstellen konnte, die ihm wichtiger waren als dieses Projekt. Er mußte Beryl anrufen, sobald es ging.

Sims4 0052 Die richtigen Worte <- # -> Sims4 0054 Von Tofu und Elfen